06 November 2006

Die Ursachen und Dimensionen des Libanonkonfliktes




Einleitung

I. Der Libanon-Konflikt als politikwissenschaftlicher Forschungsgegenstand
1. Konflikttheoretische Erklärungsmodelle

1.1. Das deprivationstheoretische Modell nach T.R.Gurr

1.1.1. Zur Entstehung politischer Gewalt

1.1.2. Bedingungen für interne Kriege

1.3. Arbeitshypothesen zum Libanon-Konflikt

II. Das fragile libanesische Staatssystem: Belastungen des "Consociational System"
1. Zum Begriff der "Consociational Democracy" nach Arend Lijphart

1.1. Das spezifische libanesische Problem des Ethnozentrismus im neuen Staat

1.2. Der "National Pact" von 1943 als Minimalkonsens

1.3. Das inhärente Problem bei der Mandatsverteilung:Der Konfessionalismus

1.3.1. Der Zensus von 1932 als Legitimation christlicher Vorherrschaft

1.3.2. Die Verfassung

2. Die Immobilität des politischen Systms als destabilisierender Faktor

2.1. Das starre Präsidialsystem unterminiert die Idee des "Consociationalism"

2.2. Mangelnde Partizipationsmöglichkeiten der politisch sensibilisierten Schiiten

2.2.1. Die Bewegung um Musa al-Sadr

2.2.2. Die politische Bedeutung der Amal

3. Identitätsprobleme und politische Polarisation:Der "National Pact" scheitert

3.1. Pan-arabische Identität und die "Nationale Bewegung"

3.2. Der libanesische Nationalismus auf christlicher Seite

4. Die Laisser-faire-Ökonomie jenseits staatlicher Ordnung

5. Politische Entfremdung im Libanon - ein empirischer Befund

III. Eskalation der innerlibanesischen Konfliktsituationdurch exogene Einflußfaktoren
1. Verschiebung der Machtverhältnisse durch die Palästinenser

1.1. Das Kairo-Abkommen und die Etablierung einespalästinensischen "Staat im Staat" im Libanon

1.2. Massive Einflußnahme der Palästinenser auf dieinnerlibanesische Konfliktsituation

2. Das syrische Engagement im Libanon

2.1. Hafez al-Assads Hegemonial- und SicherheitspolitischeInteressen

2.2.S Syriens Libanonpolitik zielt auf Erhalt des "Status Quo"

3. Die Triplizität der israelischen Libanonpolitik

3.1. Unterstützung der christlichen Kräfte

3.2. Eliminierung des palästinensischen Faktors

3.3. "Containment" - Politik gegenüber Syrien

IV: Bewertung der Arbeitshypothesen

Schlußbemerkungen

Literaturliste

02 November 2006

I. Der Libanonkonflikt als politikwissenschaftlicher Forschungsgegenstand

1. Konflikttheoretische Erklärungsmodelle

Die Konfliktforschung beschäftigt sich mit dem unterschiedlichen Ausmaß von Konflikt, Protest und Gewalt. Sie versucht zudem, Zusammenhänge verschiedener Konfliktereignisse zu beschreiben und Konflikte, Proteste und Gewalt durch gesamtgesellschaftliche Merkmale zu erklären (vgl. Weede 1975:409). Sie entstand zu einer Zeit, als die Modernisierungstheorien ihren Höhepunkt fanden. Seit den 60er Jahren ist die Literatur auf dem Gebiet der Konfliktforschung stark angewachsen (vgl. Bibliographie bei Zimmermann 1981).
Weede unterscheidet vier Etappen innerhalb der Konfliktforschung: "Eine klassische Phase bis 1971-72, einen neoklassischen Versuch (Gurr and Duvall 1973), einen ungefähr gleichzeitigen Frontalangriff (Hibbs 1973) und bis heute die Akkumulation der Widersprüche" (Weede ebd.:409). Hier drückt sich zugleich das Problem der konflikttheoretischen Forschung aus: Die Annahme nämlich, "daß man bei der Erforschung interner Konflikte bald weiter sei als in den meisten anderen Gebieten der Sozialwissenschaft..." (ebd.:411), hat sich nicht bestätigt.
Apter sieht die Gründe für das Fehlen zuverlässiger Indikatoren in bezug auf politische Gewalt in der schwachen Aussagekraft gegenwärtiger Theorien. "Highly generalized structural ones lead to overkill conclusions. Those concerned with individual psychological variables are mostly devoid of interpretative understanding" (Apter 1987:xy).
Die Hauptprobleme der Konfliktforschung liegen darin begründet, daß die zu überprüfenden Theorien oft nicht bestätigt werden können, die Operationalisierung problematisch ist und die Ergebnisse selten replizierbar sind (Weede 1975:411).
Neuere Ansätze versuchen, diese Problematik zu überwinden.

Im folgenden sollen einige zentrale Erklärungsmodelle kurz vorgestellt werden.

Zimmermann versucht, "...theoretisch bislang unverbundene Ansätze so zu integrieren, daß eine, wenngleich komplizierte, so doch erfolgversprechende vergleichende empirische Analyse über Krisen und Krisenkonsequenzen in demokratischen Industriegesellschaften durchgeführt werden kann" (Zimmermann 1978:46). Sein "synthetisches Modell" bezieht sich auf Legitimität und Legitimitätskrisen (vgl. Zimmermann 1981:26). Der Variablen Legitimität bzw. Legitimitätsverfall kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Sie wird in Bezug zur Performanz (Output-Leistung) und zur Persistenz (Fortdauer) des politischen Systems gesetzt. Wobei das Repressionspotenzial einen positiven Einfluß auf die Persistenz des Systems ausübt, gleichzeitig aber zu einem Legitimitätsverfall führt.
Performanzabfall bewirkt nach diesem Modell die Entstehung von Dissens in Bezug auf das politische System, die Eliten, die politischen Entscheidungen und auf bestimmte Institutionen. Das Ausmaß an politischem Dissens ist dann eine wichtige Bedingung für das Entstehen von politischer Gewalt. Jedoch entsteht politische Gewalt nicht zwangsläufig aus Dissens, sondern erst, "...wenn soziale Mobilisierungsprozesse bestimmter Richtung erfolgen" (ebd.:41). Aussagen über die Bedingungen sozialer Mobilisierung werden hier allerdings nicht gemacht (ebd.:41).
Dieses Modell zielt somit in erster Linie auf weiterentwickelte demokratische Industriegesellschaften ab.

Eine eher auf sich modernisierende Gesellschaften zutreffender Erklärungsansatz für das Entstehen von politischer Gewalt bietet die Theorie Huntingtons. Er sieht in der Assimilierung der durch den Modernisierungsprozeß neu entstandenen sozialen Kräfte die Voraussetzung für politische Stabilität. Politischer Konflikt und damit letztlich politische Gewalt entsteht, wenn einem politisch sensibilisierten Potential ein defizitärer Institutionalisierungsgrad an politischen Parteien gegenübersteht, d.h., wenn der Wunsch nach politischer Partizipation nicht realisiert werden kann, weil es an Beteiligungsmöglichkeiten fehlt (ebd.:48). Huntington sieht in einem rapiden sozio-ökonomischen Modernisierungsprozeß die Hauptquellen für das Entstehen von politischer Gewalt, weil hier politische Systeme selten in der Lage sind,auf die neuen Werterwartungen adäquat einzugehen. Besonders dann auch, wenn es sich um zentralisierte Monarchien, Militärdiktaturen und neue Nationen handelt (vgl. Eckstein 1980:135).
Zimmermann stellt die Signifikanz der rapiden sozio-ökonomischen Entwicklung als wichtigste direkte Determinante für politische Gewalt in Frage, stellt aber gleichzeitig fest, daß "...under some conditions socioeconomic change might lead to an increase on political protest, for instance, if it lead to the dislocation of social groups that are strong engough in their cultural and/or religious and/or ethnic identity to sustain prolonged resistance" (Zimmermann 1980:183; hierzu auch Zimmermann 1981:50f).

Ein weiterer Erklärungsansatz für das Entstehen von politischer Gewalt bietet die Theorie von Tilly (Theorie der "Collective Action"). Tilly geht davon aus, daß es in einem Staatswesen Mitglieder gibt, die einen formalen Zugang zum politischen Entscheidungsprozeß besitzen und andere, denen dieser formale Zugang versperrt bleibt. Sie bilden die Herausforderer, denn auch sie streben nach politischer Macht. Im Kampf um die Macht wird der Druck auf seiten der Herausforderer um so stärker, je schwieriger die Zugangsmöglichkeiten zum politischen Entscheidungsprozeß für sie sind. Endpunkt dieses Prozesses ist dann der revolutionäre Zustand. Bevor es jedoch zur "Collective Action" kommt, muß es zu einem Zusammenfluß gemeinsamer Interessen kommen. Ein bestimmtes Maß an verfügbaren Resourcen ist Voraussetzung dafür, daß sich die Beteiligten organisieren und mobilisieren können. Befindet sich gleichzeitig die Repressionsfähigkeit des Regimes auf niedrigem Niveau, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß "violent political action" die Oberhand gewinnt (vgl. Eckstein 1980:135ff und Weede 1986:51).

Innerhalb der Konfliktforschung nimmt jedoch die Theorie der "Relativen Deprivation" (RD) den größten Platz ein. Die Mehrzahl der empirischen Arbeiten beruht auf diesem Ansatz (vgl. Weede 1986:76). Die RD-Forscher gehen davon aus, daß Protest und Gewalt die Folge von Unzufriedenheit sind. "Unzufriedenheit als Diskrepanz von Anspruch und Erfüllung ist Folge von ungleichgewichtigen Zuständen oder Entwicklungen" (Weede ebd.:76).
Feierabend und Feierabend, wichtige Vertreter des deprivationstheoretischen Ansatzes, vermuten einen kurvilinearen Zusammenhang zwischen Modernität und Instabilität: In rückständigen Gesellschaften seien Erwartungshaltung und die Chancen der Erwartungsbefriedigung gering, in modernen Gesellschaften dagegen hoch. In Übergangsgesellschaften aber bestanden eine Diskrepanz zwischen Werterwartungen und deren Befriedigungschancen, aus der schließlich politische Instabilität folgt. Diese kurvilineare Beziehung konnte jedoch nicht so deutlich nachgewiesen werden.
Die Feierabends erklärten dies damit, daß es keine entsprechend rückständigen und anspruchslosen Nationen mehr gäbe. Weedes Kritik an diesem Ansatz beinhaltet den Vorwurf der Tautologie, weil die Feierabends den Ansatz an sich nicht in Frage stellen, sondern das Problem in der Auswahl der Indikatoren sehen (vgl. Weede ebd.:78).

Der wohl führende Exponent auf dem Gebiet der RD-Forschung ist T.R. Gurr. Sein konflikttheoretischer Ansatz dient im Rahmen dieser Diplomarbeite als theoretische Grundlage zur Erklärung der Konfliktursachen im Libanon. Aus diesem Grunde werde ich im nächsten Kapitel näher auf die Konflikttheorie Gurrs eingehen, die trotz aller Kritik (vgl. Weede 1975 und 1986,sowie Zimmermann 1981), "a tool of explanation, not something that models all facets of the concrete" (Eckstein 1980:163), darstellt.

1.1. Das deprivationstheoretische Modell nach Gurr

Gurrs Konfliktmodell versucht, folgende Fragen zu beantworten:
a) Was sind die pychologischen und sozialen Quellen für das Potenzial an kollektiver Gewalt;
b) Was determiniert die Größe dieses Potenzials, gerichtet auf das politische System?; und
c) Was sind die sozialen Konditionen der Bedeutung, Form und Konsequenzen dieser Gewalt? (vgl. Gurr 1974:8). Dabei liegt die Annahme zugrunde, daß, je größer die Frustration unter den Mitgliedern einer Gesellschaft ist, bezogen auf politische und soziale Unzufriedenheit, desto größer ist die Quantität von Aggression gegen die Quelle dieser Frustration bzw. umso größer ist die Intention von Deprivation, und die Bedeutung von Gewalt.
Die Unzufriedenheit erwächst aus der Perzeption von relativer Deprivation (RD), d.h. aus der Diskrepanz zwischen Werterwartung (value expectation) und Wertanspruch (value capability). "`Relative deprivation' (RD) is the term...to denote the tension that develops from a descrepancy between the `ought' and the `is'of collective value satisfaction and that disposes men to violence " (Gurr ebd.:21). Werte meinen dabei Ereignisse, Objekte und Bedingungen , wie Macht, Einfluß, Partizipation, Wahlrecht, Mitgliedschaft in einer politischen Elite etc., nach denen Menschen streben.
Gurr unterscheidet drei Spezifizierungen von RD:
a) "Decremental Deprivation" - die Werterwartungen sind konstant, jedoch sinken die Wertansprüche;
b) "Asprirational Deprivation" - die Wertansprüche sind konstant, aber die Werterwartungen steigen;
und schließlich c) "Progessive Deprivation" - sowohl die Werterwartungen als auch die Wertansprüche steigen bzw. fallen (vgl. Gurr 1974:46).
"In any given society at any given time, however, some groups are likely to experience different patterns of RD with respect to different classes of values" (Gurr ebd.:56). Die Intensität der RD ist ausschlaggebend für die Intensität der daraus resultierenden politischen Gewalt. Wird z.B. eine spezielle Partei zum Nachteil einer oder mehrerer anderer Parteien übervorteilt, so entwickelt sich Unzufriedenheit aus dem Mangel an Partizipationsmöglichkeiten, die dann im Verlangen nach größerer politischer Beteiligung und in einem Streben nach regionaler Autonomie ihren Ausdruck findet.
Gurr sieht die Quellen steigender Werterwartungen auch in der Wahrnehmung besserer Lebensumstände (Demonstrationseffekt), z.B. westliche Kulturen im Verhältnis zu den Lebensumständen in den Entwicklungsländern oder auch im Gegensatz zwischen den neuen Lebensvorstellungen stark urbanisierter Zonen und den meist traditionellen Lebensweisen der Peripherie (ebd.:93). Können wachsende Werterwartungen aufgrund externer Faktoren oder aufgrund der mangelnden Willfähigkeit des politischen Regimes nicht eingelöst werden, so entsteht RD.
Aus diesem Grunde ist die Art der Machtverteilung in einem politischen System von entscheidender Bedeutung für das Entstehen von RD bzw. für die Reaktion auf entstandene RD. Ist eine hohe Machtverteilung vorhanden, impliziert dies ebenfalls größere politische Partizipationsmöglichkeiten und damit größere Wertfähigkeit. Ist sie aber hingegen stark konzentriert und in ihrer Art statisch, so bedeutet dies zumeist geringe Partizipationsmöglichkeiten und die Entstehung intensiver RD als Folge.
Politische Macht kann hingegen dazu benutzt werden, die Quellen der entstandenen Unzufriedenheit zu lösen: Durch Vergrößerung der sozialen und politischen Wertgelegenheiten für die unzufriedenen Gruppen, durch Vergrößerung des Outputs des Systems und durch Reallokation von Partizipationsmöglichkeiten sowie Statuswerte kann die Wertfähigkeit in einem politischen System erhöht und der RD entgegengewirkt werden (ebd.:143f).
Ein dysfunktionaler Gebrauch der politischen Macht verringert die Wertfähigkeit des Systems und führt zu steigender RD.
Die Kapazität eines politischen Systems, die partizipatorischen Werterwartungen zu befriedigen, ist die Funktion des Verhältnisses Elitebewerber und verfügbare Elitepositionen,abhängig zudem von der Häufigkeit des Wechsels bei der Besetzung der Elitepositionen. Die verfügbaren Elitepositionen sind jedoch meist stark begrenzt. Ihre Ausweitung ist durch die Entwicklung von politischen Parteien, Interessenvertretungen, Bürgerrechten und durch Erhöhung der Wahlhäufigkeit möglich. Doch sind "such expansion..typically opposed by elites in centralized political systems..." (ebd.:145).
Unter ethnischen Gesichtspunkten, konstatiert Gurr, kann sich eine Gruppe vielleicht aufgrund besserer Bildung geeigneter fühlen, Regierungspositionen zu begleiten. Kann sich eine Gruppe in dieser Hinsicht durchsetzen, wird dies von anderen Gruppen als Verschlechterung der eigenen Position erlebt. Die Folge ist dann ein Ansteigen von RD,die dann, unter Mitwirkung anderer Faktoren, zur Entstehung von politischer Gewalt führen kann und häufig in Aufrühren, Revolten etc. ihren Ausdruck findet.

1.1.1. Zur Entstehung politischer Gewalt

Relative Deprivation muß nicht unmittelbar zu politischer Gewalt führen. Vielmehr müssen weitere Faktoren hinzukommen, um aus der erlebten Unzufriedenheit das Potenzial für politische Gewalt erwachsen zu lassen: "Discontent leads men to political violence when their attitudes and beliefs focus it on political objects, and when institutional frameworks are weak enough, or opposition organisation strong enough, to give the discontented a sence of potency" (ebd.:155). Dabei ist die Repressionsfähigkeit des Systems ein entscheidender Faktor, d.h. in wieweit läßt das System das Erstarken einer militanten Opposition zu.

Die Intensität, mit der politische Gewalt gerechtfertigt wird, hängt von den Umständen ab, die politische Gewalt als geeignete Antwort erscheinen lassen. Z.B. wurde festgestellt, daß neben Unzufriedenheit und Mißtrauen gegenüber den politischen Autoritäten auch der Glaube an die Effektivität der Gewalt das politische Gewaltpotenzial erhöht (vgl. Weede 1975:411).
Die psycho-kulturelle Rechtfertigung von Gewalt hat verschiedene Ursprünge. Sie resultiert aus bestimmten Sozialisationsmodellen, die individuelle Aggression als Verhaltensmuster zur Lösung von Konflikten vermitteln, aus der kulturellen Tradition, und aus bestimmten historischen Erfahrungen bezügl. politischer Gewalt (vgl. Zimmermann 1980:202f).Die normative Rechtfertigung von politischer Gewalt bei gegebener positiver Gewalteinstellung wächst auch in dem Maße, in dem das System an Legitimation einbüßt. Gurr formuliert diesen Aspekt in folgender Hypothese: "The intensity and scope of normative justificaton for political violence vary strong by and inversely with the intensity and scope of regime legitimacy" (Gurr 1974:185). Zur Rechtfertigung von politischer Gewalt dienen in der Regel ebenfalls Ideologien,die je nach der Intensität des akuten sozialen Konfliktes sehr extrem ausfallen können und mitunter auch Post-hoc-Rechtfertigungen für politische Gewalt liefern oder aber versuchen, plausible Erklärungen für die Gründe der entstandenen Unzufriedenheit zu geben.
Besondere Suszeptibilität besteht auch in der Tatsache, ethnische, religiöse und politische Minoritäten für RD verantwortlich zu machen. Religiöse, regionale, ethnische (etc.) Trennungslinien, "...represent one of the most important classes of deterninants of protest, turmoil, as well as of insurrection" (Zimmermann 1980:2o3). Untersuchungen haben gezeigt, daß, je größer die Segregation durch religiöse, ethnische (etc.) Gruppen ist, desto größer ist das Ausmaß an politischer Gewalt. Konflikte werden politisiert, indem einzelne Gruppen nach politischer Vorherrschaft streben (vgl. Zimmermann ebd.:204). Je deutlicher sich einzelne Gruppen von einander unterscheiden lassen, desto größer ist die Neigung, diese Gruppen für die erfahrene Unzufriedenheit verantwortlich zu machen. Auf der anderen Seite wächst die Effektivität politischer Gewaltrechtfertigung in dem Maße, wie sich diejenigen, die unzufrieden sind, als Gemeinschaft begreifen. Über Symbole werden die Gemeinsamkeiten zum Ausdruck gebracht und das Gemeinschaftsgefühl bestärkt. Zudem grenzen sich dadurch die einzelnen Gruppen von einander deutlich ab (vgl. Gurr 1974:207ff). Ein ausreichendes Kommunikationssystem bestärkt diesen Prozeß auf breiter Ebene in erheblichem Maße.
Damit sich ein so entstandenes Potenzial an politischer Gewaltbereitschaft in Form eines inneren Krieges entladen kann, sind allerdings weitere Bedingungen ausschlaggebend. Im nachfolgenden Kapitel soll nun untersucht werden, welche Gründe maßgeblich für die Eskalation von politischer Gewalt zu einem inneren Krieg sind.

1.1.2. Bedingungen für interne Kriege

Damit sich politische Gewalt in Form eines inneren Krieges äußert, müssen gewisse strukturelle Rahmenbedingungen auf seiten der Dissidenten bzw. des Regimes vorhanden sein. Gurr sieht einen wesentlichen Aspekt darin, daß die Zwangskapazität bzw. die Zwangskontrolle der Dissidenten sich der Zwangskontrolle des Regimes nähert. Zwangskontrolle (Coercive Control) äußert sich darin, daß die Willfähigkeit und die Einwilligung zur Kooperation innerhalb der Dissidentenorganisationen, dauerhaft ermöglicht wird (vgl. Eckstein 1980:152 und Zimmermann 1980:191ff).
Die Wahrscheinlichkeit eines inneren Krieges steigt erheblich, wenn "...the respectiv balances of coercive control and institutional support between regimes and dissidents" erreicht wird (Gurr 1974:233). Verfügen also die Dissidenten über eine hohe Zwangskontrolle und über die Unterstützung einer gewichtigen Organisation, so sind die Voraussetzungen für gewalttätige politische Opposition bzw. interner Krieg gegeben.
Das Ausmaß von politischer Gewalt verhält sich invers zum Potential der Zwangskontrolle auf seiten des Regimes. "If the regime and dissidents have approximately equal strength, internal war is more likely than other forms of political violence" (ebd.:235), d.h., verfügen die Dissidenten über eine Organisationsstruktur, die an Stärke und Effektivität der des Regimes gleichkommt, so ist unter Berücksichtigung der anderen genannten Faktoren, ein innerer Krieg wahrscheinlich. Das Regime müßte, um seinerseits eine konsistente Zwangskontrolle erreichen zu können, stets eine aktive Präsens ihrer Institutionen vorweisen können. Dabei spielen gerade die militärischen bzw.. internen Sicherheitskräfte eine wesentliche Rolle da die Zwangskapazität des Regimes wesentlich von der Loyalität dieser Sicherheitskräfte abhängt.
Haben sich hingegen die Dissidenten zu einer militärischen Formation vereint, so besteht zumeist große Loyalität zu ihren Führern.
Die Effizienz der "coercive control" hängt auch davon ab, in wieweit sich die Dissidenten in bestimmten Regionen konzentrieren, die u.U. schlecht von seiten des Regimes kontrolliert werden können.
Eine weitere Bedingung für die Möglichkeit eines inneren Krieges ist das Ausmaß an übereinstimmender und kooperierender Interaktion (Cohesiveness) unter den Dissidenten, sowie ein hohes Maß an hierarchischer und funktionaler Differenzierung innerhalb der Dissidentenorganisation (Complexity). Die Entwicklung einer Führerschaft,sowie die Ausdifferenzierung organisatorischer Funktionen und die Etablierung eines quasi formalen Körpers, sind von entscheidender Bedeutung für die Stärke der Regimegegner.
Gurr faßt diesen Aspekt in folgender Hypothese zusammen: "The likelihood of internal war increases as the level of dissident to regime institutional support approches equality" (Gurr ebd.:279).

Ein entscheidender Punkt für die Wahrscheinlichkeit eines inneren Krieges ist die Unterstützung der Regimegegner durch das Ausland. Sie kann bedeutenden Einfluß auf die D a u e r und I n t e n s i t ä t eines inneren Krieges haben bzw. zum Aufbau der Dissidentenorganisationen wesentlich beitragen.

1.3. Arbeitshypothesen zum Libanonkonflikt

Aus den vorangegangenen konflikttheoretischen Überlegungen lassen sich folgende Hypothesen zum Libanonkonflikt formulieren:

Die hohe ethnische Fraktionalisierung der libanesischen Gesellschaft verhinderte das Entstehen von übergeordneten Loyalitätsstrukturen (overarching loyalties). Daraus ergaben sich besondere Schwierigkeiten für das libanesische Demokratiemodell.
Die profunde Segregation innerhalb der libanesischen Gesellschaft konnte durch das politische System nicht überwunden werden. Der Segregation entsprach die regionale Aufteilung unter den ethnischen Gruppen.
Regionale Konzentration und Kontrolle der einzelnen Gruppen waren wichtige Bedingungen für die Entstehung von politischer Gewalt im Libanon.
Das bedeutendste Problem der libanesischen Demokratie lag in der Allokation der politischen Partizipationsmöglichkeiten unter den verschiedenen Segmenten.
Mangelnde Partizipationsmöglichkeiten auf seiten der Muslime führten zum Zerfall des politischen Systems im Libanon, und die wahrgenommene Relative Deprivation stand in Kongruenz zu der Elite und der Masse der jeweiligen Gruppen.
Sämtliche bedeutenden Gruppen im Libanon verfügten über eine entsprechende Institutions-und Organisationsstruktur.
Die Zwangskapazität bzw. Zwangskontrolle der Konfliktparteien erreichte ein annähernd gleiches Ausmaß.
Der Einfluß von exogenen Faktoren besaß eine gravierende Bedeutung für den Konfliktverlauf. Tragweite und Dauer des libanesischen Konfliktes sind das Ergebnis massiver exogener Einflußfaktoren.

01 November 2006

II. Das fragile libanesische Staatssystem: Belastungen des "Consociational System"

1. Zum Begriff der "Consociational Democracy" nach Arend Lijphart

Im folgenden Kapitel möchte ich unter Heranziehung des Lijphartschen Modells des "Consociationalism" auf die spezifischen Probleme des libanesischen Staatssystems eingehen. Dabei werde ich zunächst das Modell des "Consociationalism" nach A. Lijphart erörtern, da das libanesische Staatssystem seiner Konzeption entsprechend diesem Modell nahe kommt: Konkordanzdemokratie (Hanf 1988:667), Proporzdemokratie, Consocial Democracy (Pohl-Schöberlein 1986:3), Consociational Democracy (Lijphart 1969, 1977).
In der Literatur wurde die libanesische Demokratie gerne als die "Schweiz des Orients" bezeichnet. Der Libanon galt als das einzige arabische Land, das freie Meinungsäußerung, freie Wahlen und gerechte Verteilung der politischen Macht gewährleistete und die Antagonismen aus Tradition und Moderne zu überwinden schien.Daniel Lerner wertete 1964 den Libanon als "...the most modern Arab Land today as an outcome of its history...Yet it scores well ahead of all Arab neighbors on every index of mdernity" (Lerner 1964:169). Das Besondere am libanesischen Modell ist darin zu sehen, daß es die Schwierigkeiten, die einer stark pluralen Gesellschaftsformation beim Aufbau einer Demokratie innewohnen dem ersten Anscheine nach überbrücken konnte. Plurale Gesellschaften sind gekennzeichnet durch die Koexistenz inkompatibler kultureller Wert- bzw. Institutionensysteme, die - besonders für die Länder des Nahen Ostens - in der Existenz unterschiedlicher kultureller Gruppen, die auf sozialer und politischer Ebene als distinkte, korporative Segmente organisiert sind, ihren Ausdruck finden. Die Eingliederung dieser unterschiedlichen kulturellen Gruppen in das politische System, vollzieht sich als "bündische Vereinigung (consociational incorporation). Das libanesische Modell sollte deshalb als mögliches Vorbild für andere arabische Staaten dienen (vgl. Scheffler 1985:35ff), da es die Integrationsqualitäten gefördert und eine "...Überlastung des politischen Systems durch Partizipationsansprüche von unten verhindert" habe (Scheffler ebd.:37).
Die Gründe für das Scheitern des politischen Systems im Libanon sollen anhand des Lijphartschen Modells analysiert werden.
In einer "Consociational Democracy" werden die zentrifugalen Kräfte, die einer pluralen Gesellschaft innewohnen, durch kooperierendes Verhalten der politischen Führer der Gruppen (Segmente) entgegengewirkt. Diese "Elitekooperation" ist das Hauptmerkmal einer "Consociational Democracy" (CD) (vgl. Lijphart 1977:1). Hier liegt die Möglichkeit zugrunde, die "distinkten korporativen Segmente" einer pluralen Gesellschaft in ein politisches System zu integrieren. "The deviant cases of fragmented but stable democracy will be called `consociational democracy'" (Lijphart 1969:211). Dabei versteht Lijphart unter einer stabilen Demokratie u.a., die hohe Wahrscheinlichkeit, daß das Regime demokratisch verbleibt und ein niedriges Niveau an gegenwärtiger und potentieler Gewalt vorhanden ist (vgl. Lijphart 1977:4).

verbleibt niedriges Niveau
demokratisch an pol. Gewalt

stabile Demokratie

Legitimität Effektivität


Nach Lijphart sind es vier spezifische Charakteristika, die eine CD auszeichnen:
a) Als wichtigstes Element bezeichnet Lijphart die "Regierung der großen Koalition" aller politischen Führer der wichtigsten segmentalen Einheiten.
b) Ein Vetorecht als Schutz für die Interessen der Minoritäten.
c) Proportionalität in bezug auf die politische Repräsentation, die Ämterbesetzung und die Verteilung der öffentlichen Finanzen.
d) Ein hoher Grad an Autonomie für die einzelnen Gruppen (Segmente) bzw. für die intersegmentalen Entscheidungsprozesse (vgl. Lijphart 1977:25).

große Koalition

Vetorecht CD Proportionalität
segmentale Autonomie
(Modell: Bedingungen einer CD)

In Gesellschaften mit vergleichsweise hoher Segmentierung, wie es im Libanon der Fall ist, würde ein striktes Mehrheitsrecht die numerisch stärkste Gruppe (Gruppen) ungleich bevorteilen. Denn die Starrheit der Segmentation spiegelt sich ebenfalls in der politischen Repräsentation wieder und Wahlen verändern deshalb nichts an der politischen Situation. Einzelne Gruppen wären aufgrund ihrer Größe bzw. ihrer Koalitionsfähigkeit permanent von einer Regierungsbeteiligung ausgeschlossen. Zudem bewirkt die Partizipationsmöglichkeit aller Gruppen am politischen Entscheidungsprozeß (decision-making process) eine erhöhte Kompromißbereitschaft und Mäßigung. "By being in the government together, parties that do not quite trust each other have an important guarantee of political security" (Lijphart 1977:29ff). Die Formation einer großen Koalition ist die geeignete Antwort auf interne Krisen, bei denen Fragmentierung in Verfeindung der Subkulturen verfällt (vgl. Lijphart 1969:215).
Das Vetorecht bildet einen Schutzfaktor für Minoritäten bei inakzeptablen politischen Entscheidungen, die ansonsten zu einer Gefährdung der intersegmentalen Kooperation führen könnte. Lijphart sieht im Vetorecht zwar auch die Gefahr des Mißbrauchs (Blockierung des politischen Entscheidungsprozesses), geht aber davon aus, daß die politische Rationalität das Unterlaufen des "consociationalism" verhindert (vgl. Lijphart 1977:36f). Das Vetorecht kann informal und ungeschrieben oder auch verfassungsmäßig bestehen.

Die Proporzionalität soll eine angemessene Allokation der politischen Ämter und den finanziellen Resourcen unter den verschiedenen Gruppen bewirken (Partizipation aller Gruppen am politischen Entscheidungsprozeß) (vgl. Lijphart 1977:39f).

Die segmentale Autonomie bedeutet, daß intrasegmentale Probleme unabhängig von der jeweiligen Gruppe behandelt und entschieden werden. Eine spezielle Form dieser segmentalen Autonomie ist im Föderalismus zu sehen. Dieser ist dann besonders geeignet für den "Consociationalism", wenn die segmentalen Trennungslinien mit den regionalen übereinstimmen, d.h. wenn die verschiedenen Gruppen auch regional von einander konzentriert sind. Lijphart konstertiert allerdings, daß das Verlangen nach größerer regionaler Autonomie Konflikte heraufbeschwören kann, wenn diese Forderungen seitens des Regimes zurückgewiesen werden. Gewalttätige Auseinandersetzungen können die Folge sein (Lijphart 1977:41).
Die Gewährleistung der segmentalen Autonomie durch das Prinzip des Föderalismus ist dann ausgeschlossen, wenn die einzelnen Segmente geographisch vermischt sind.
Weiter setzt das "consociational" Modell die Vorherrschaft von Eliten voraus. Sie vertreten jeweils ein bestimmtes Segment der Gesellschaft innerhalb der politischen Repräsentationsorgane. Die Eliten stehen dabei aber vor dem Problem sich beim Zustandekommen von Kompromissen, nach allen Seiten hin absichern zu müssen. Das setzt wiederum voraus, daß die Eliten selbst über beträchtliche Macht verfügen müssen,um die notwendige Eigenständigkeit innerhalb des politischen Entscheidungsprozesses beibehalten zu können (Lijphart 1977:49f). Die Elite muß zudem, die Fähigkeit besitzen, unter den divergierenden Interessenlagen der einzelnen Gruppen zu vermitteln, vorhandene Spaltungen überwinden können und ein Interesse an der Erhaltung, Stabilisierung und Verbesserung des Systems besitzen sowie die möglichen Gefahren einer Fragmentierung für das politische System erkennen.
Das Gelingen ist abhängig von den intersubkulturellen Beziehungen der Elite bzw. von der Elite-Masse-Beziehung unter den Subkulturen (vgl. Lijphart 1969:216).

"Perhaps the most serious and fundamental criticism of consociational democracy concerns...its potential failure to bring abaut and maintain political stability". Die Gründe für ein Mißlingen einer CD können unter anderem in folgenden Punkten zu sehen sein:

Das Vetorecht kann Immobilität innerhalb des
politischen Entscheidungsprozesses bewirken.

Die Allokation sämtlicher politischer Positionen
nach dem Prinzip der Proporzionalität hat zur
Folge, daß Partei- bzw. Gruppenzugehörigkeit
bedeutender sind als individuelles Engagement.
Segmentale Autonomie fordert eine entsprechend
hohe Zahl administrativer Einrichtungen, die zu
entsprechend hohen Kosten führen (vgl. Lijphart
1977:50f).


Das "consociational" Modell soll letztlich zu einer multiplen Balance der politischen Macht führen, um mögliche Hegemonialinteressen einer bestimmten Gruppe zu verhindern eine Gefahr die bei dualer Machtverteilung besteht. Deshalb sind mindestens drei verschiedene Segmente innerhalb des politischen Systems erforderlich. "The optimal number of segments...remains about three or four", die allerdings alle Segmente repräsentieren sollen. Eine höhere Anzahl an verschiedenen Segmenten erhöht gleichzeitig die Gefahr der Instabilität, da eine Kooperation unter den verschiedenen Gruppen erschwert wird (Lijphart 1977:55ff).
Wesentlich für die Stabilität des politischen Systems in einer CD ist das Vorhandensein von sich überschneidenden Loyalitäten (overarching loyalties), die für eine gewisse Kohäsion innerhalb der Gesellschaft sorgen. "Nationalism is potentially such a force" (Lijphart ebd.:82). Jedoch wird das Gegenteil bewirkt, wenn die Vorstellung von »Nation« "...not coterminious with the state" (ebd.:82). Das Fehlen solcher "overarching loyalties" erschwert beträchtlich die Bildung eines notwendigen Minimalkonsensus unter den verschiedenen Gruppen.»

1.1. Das spezifische Problem des Ethnozentrismus im neuen Staat

Die libanesische Gesellschaft ist gekennzeichnet durch die Existenz einer Vielzahl verschiedener ethnischer Gruppen (Segmente). Diese ethnischen Gruppen lassen sich grob in christliche und muslimische Einheiten unterscheiden. Innerhalb dieser beiden Hauptkategorien lassen sich wiederum weitere von einander zu trennende Gruppen ausmachen:

Christen: Muslime:
Maroniten Schiiten
Griechisch-Orthodoxe Sunniten
Griechisch-Katholische Drusen
Armenier
(Hauptgruppen im Libanon)


Ein wesentliches Kennzeichnen der libanesischen Gesellschaft ist die Tatsache, daß diese konfessionellen Bezeichnungen gleichzeitig für die verschiedenen ethnischen Gruppen stehen, d.h. daß die konfessionellen Unterscheidungen gleichzeitig die ethnischen Unterschiede implizieren. Diese Tatsache ergibt sich aus der historischen Entwicklung der einzelnen Gruppen im Libanon. Schiller fasst die beiden Komponenten in dem Terminus "ethnisch-konfessionell" zusammen und beschreibt damit die historisch-soziologische Entwicklung der Religionsgemeinschaften des Nahen Ostens, "...deren Beziehungen innerhalb der jeweiligen Gruppe eine Gemeinschaft formen, die sich weit über den initiären Moment der gleichen Religionszugehörigkeit hinaus entwickelt hat" (Schiller 1979:17).
Ab dem 6. Jahrhundert begannen die verschiedenen Volksgruppen, in den Libanon einzuwandern (Kuderna 1983:18) um zumeist in den Bergregionen des Mount Libanon Schutz zu finden. "The inaccessibility of Mount Lebanon made it the refuge of disaffected Christian and Muslim sects and enabled Lebanon to maintain its autonomy under a system of feudal leadership..." (Meo 1977:94). Das "Millet"-System - die Existenz verschiedener Religionsgemeinschaften - wurde auch unter der osmanischen Herrschaft beibehalten und später sogar in der Verfassung verankert (vgl. Schiller 1979:2). Über die Jahrhunderte hinweg haben sich die religiösen Gemeinschaften zu festen ethnischen Gruppen entwickelt (Eigengruppen), mit festen Bezugssystemen und differenzierten Wertvorstellungen und Normen. Das Wertesystem der einzelnen Gruppen ist so stark, daß es kaum eine Mobilität zwischen den Gruppen gibt (vgl. Fawaz 1987:27) und aufgrund der fehlenden Mobilität auch keine Vermischung stattfand. "Ehen zwischen Christen und Muslime lagen unter 4%...Selbst zwischen verschiedenen christlichen Gemeinschaften gab es nur ca. 28% `Mischehen'" (Hanf 1985:27).
Die verschiedenen Religionsgemeinschaften im Libanon bilden somit feste soziale Gruppen und Solidaritätsgemeinschaften, die aufgrund unterschiedlicher historischer Entwicklung auch verschiedene politische und gesellschaftliche Zielvorstellungen besitzen (vgl. Schlicht 1986:8f). Wenn Religionsgemeinschaften das Sakrale als untrennbar von dem Säkularen sehen, so ist die Existenz verschiedener Religionen in einem Staat problematisch. Habitus, Sitten und Riten trennen schon äußerlich die Mitglieder der verschiedenen Religionen (vgl. Anderson 1974:22). Das sich daraus entwickelnde Gruppenbewußtsein wird zum politischen Leitbild: "Bei allen Gemeinschaften, vor allem aber bei den Maroniten, wurde das Gruppenbewußtsein die Determinante des politischen Handelns" (Schlicht ebd.:35). Die religiöse Identität behinderte so die Möglichkeit eines "...social learnings of communal cooperation" (Hudson 1978:38) unter den verschiedenen sich religiös definierenden Gruppen, eine allerdings für das Modell des "Consociationalism" wichtige Bedingung. Die zeitliche Dauer des Bestehens einer CD soll nach Lijphart zu einer politischen Sozialisation führen, die schließlich (durch Gewöhnung) zu stabilen Beziehungen unter den verschiedenen Gruppen führen (vgl. Lijphart 1969:217).
Neben der konfessionellen Gemeinschaft übt die Familie in Libanon einen wichtigen Einfluß aus: "The sectarian family in Lebanon, being itself an agency of socialisation to fundamental importance..." (Hudson 1978:27). Die Familie wiederum gehört einem Clan an, der die gesellschaftliche Position des einzelnen von vorneherein festlegt. Soziologische Untersuchungen haben gezeigt, daß sich im Libanon die traditionellen sozialen Strukturen erhalten haben, auch wenn sich das kulturelle Umfeld stark verändert hat. Konfessionelle Identität, Loyalität zur Familie, Sippe und Clan bleiben erhalten und begrenzen so erheblich die soziale Mobilität (vgl. Schiller 1979:36f). Norten stellt in Bezug auf den Libanon fest, daß der Konfessionalismus zu einer Kategorisierung der libanesischen Gesellschaft führte: Die libanesische Identität stellt sich als "Bindestrich-Identität" dar, schiitisch-libanesisch, drusisch-libanesisch oder maronitisch-libanesisch (Norten 1984:167). Das starke Abgrenzungsverhalten verhindert die Entstehung eines Nationalbewußtseines und somit auch die Entstehung übergeordneter Loyalitätsstrukturen (overarching loyalitis), obwohl dies eine wesentliche Voraussetzung für einen "nation-building-process" darstellt. Kamal Jumblatt - selbst Angehöriger einer der einflußreichsten drusisch-libanesischen Familien - klassifiziert die libanesische Gesellschaft als "...a collection of sects and socio-religioes communities. Thus, it is not a society, nor a community, nor a nation" (Zit.nach Barakat 1973:304). Zudem konzentrieren sich die verschiedenen Gruppen in bestimmten Regionen des Landes: "Der sozio-religiösen Heterogenität entspricht die regionale Aufteilung des Landes" (Pohl-Schöberlein 1986:1), wie die folgende Karte aufzeigt:

Der christliche Protostaat befindet sich in dem Gebiet des Mount Lebanon. Dieses Gebiet wird auch "Maronistan" oder "Republik of Jounieh" genannt.
Die Drusen konzentrieren sich hauptsächlich in der Bekaa und im Schuf. Dort verkündete Kamal Jumblatt 1976 die Etablierung einer drusischen Administration. Die Schiiten leben überwiegend im Süden des Libanons (vgl. Kliot 1986:18ff).
Ethnisch-religiöse oder rural-urbane Unterschiede implizieren gleichzeitig Unterschiede in Einkommen, Stellung, Ausbildung und politischem Einfluß (vgl.Khuri 1969:29). Unterschiede in wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung in den einzelnen Regionen förderte die Zerstückelung des Landes, die so weit fortgeschritten ist, daß "...each of the officially recognized sects has its own legislation, courts and councils" (Barakat 1973:314), sowie jeweils ein eigenes Schulsystem. Eine Untersuchung in den 60er Jahren zeigte, daß ca. 63% aller libanesischen Schüler Privatschulen besucht, die ein eigenes Schulprogramm vertreten und damit schon in der Schule ein nach Konfessionen ausgerichtete Diversifikation ermöglichen (vgl. Barakat ebd.:316f).

Die stark ausgeprägte Ethnozentrierung der libanesischen Gesellschaft stellt eine besondere Belastung für die libanesische Demokratie dar: Die Suche nach einer minimalen Übereinkunft war eine unabdingbare Voraussetzung um politische Konflikte zu vermeiden. Diese Tatsache wurde von der politischen Elite des Libanons erkannt. Der "National Pact" sollte Ausdruck einer gemeinsamen Übereinkunft (Minimalkonsens) unter den verschiedenen Gruppen darstellen.

1.2. Der "Natonal Pact" von 1943 als Minimalkonsens

Die Möglichkeit der politischen Beteiligung aller wichtigen Gruppen sollte durch die Realisierung des "National Pacts" garantiert werden. Dies stellte eine besondere Herausforderung dar, weil das Verhältnis der einzelnen Gruppen nach der Staatsgründung von starkem Mißtrauen und Antagonismen geprägt war. Nach dem Zerfall des osmanischen Reiches stand der Libanon unter französischer Mandatsherrschaft. 1920 wurde dann unter französischem Druck weite Teile des unter dem osmanischen Reich zu Syrien gehörenden Gebiets an den Libanon angeschlossen und damit Großlibanon gebildet. Die neu hinzugenommenen Gebiete waren hauptsächlich von Muslimen bewohnt (vgl. Hudson 1978:38). Diese Gebiete hatten historisch keine Verbindung zu dem früheren Libanongebiet. Aus diesem Grunde konnte von der Bevölkerung der angeschlossenen Gebiete keine Loyalität gegenüber dem neuen Staat erwartet werden. Zumal die enge Bindung Frankreichs zu den Maroniten eine vorherrschende Stellung der Maroniten versprach (vgl. Schiller 1986:2f). Bis zur Unabhängigkeit boykottierten die Muslime deshalb auch die politischen Institutionen (vgl. Hudson 1978:38). Eine weitere wichtige Konsequenz aus der Vergrößerung des libanesischen Territoriums bestand darin, daß nun keine Gruppe mehr eine Majorität darstellte, "...the country become one of minorities, no one strong enough to ever oppose the French mandatory government or dominate the rest of the Lebanese state" (Azar 1984:45). Der "National Pact" sollte die einzige Möglichkeit einer nationalen Übereinkunft bedeuten, um das in die Unabhängigkeit entlasse Land politisch zu stabilisieren. Der "National Pact" wurde allerdings nie festgeschrieben, sondern stellt eine rein mündliche Abmachung dar. Die Hauptanliegen des Paktes waren, der Verzicht der Muslime auf einen arabischen Zusammenschluß oder eine mögliche Wiedervereinigung mit Syrien, der Verzicht der Christen wiederum, die enge Bindung zu Frankreich und anderen westlichen Ländern weiterhin aufrechtzuhalten und die Verteilung der Staatsämter nach konfessioneller Ausrichtung und Proporzionalität (vgl. Kuderna 1983:26). Damit wurde jedoch einerseits der Konfessionalismus in das politische System des Libanon institutionalisiert, andererseits aber die konfessionelle (und damit ethnische) Identität der einzelnen Gruppen gewahrt.
An der Entstehung dieser Übereinkunft waren allerdings nur der sunnitische Premier Riyad al-Sulh und der maronitische Präsident Bishara al-Khuri beteiligt. Die Drusen und die Schiiten waren an der Entstehung nicht beteiligt (vgl. Shemesh 1986:78).
Yamah sieht im "National Pact" allerdings nichts weiter als einen "modus operandi". Er kritisiert, daß der Pakt die prekäre Balance zwischen den religiösen Gruppen lediglich perpetuiert hat, indem er die einzelnen religiösen Gemeinschaften als legitime Repräsentanten der Bevölkerung festschrieb und damit den Status Quo erhielt (vgl.Yamah 1966:148).
Der "Natonal Pact" verteilte die politischen Ämter auf der Grundlage eines umstrittenen Zensus von 1932 in der folgenden Festlegung: Präsident wird stets ein Maronite. Der Premier wird von den Sunniten gestellt.Das Amt des Präsidenten der Abgeordnetenkammer fällt den Schiiten zu. Die Verteilung der Sitze in der Abgeordnetenkammer beläuft sich auf ein Verhältnis von sechs Christen zu fünf Muslime. Die Gesamtzahl der Sitze beträgt 99 und ist gemäß dem Verhältnis vom 6:5 aufgeteilt (vgl. Hurewitz 1966:215). Damit sind zwar - gemäß des Modells des "Consociationalim" - erstens eine quasi große Koalition verwirklicht und zweitens alle wichtigen konfessionellen Gruppen im politischen System repräsentiert, doch beläuft sich das Verhältnis der Sitzverteilung und das einflußreichste Amt zugunsten der Christen (Maroniten).

1.3. Das inhärente Problem bei der Mandatsverteilung: Der Konfessionalismus

Wie in Kapitel 1.2. gezeigt wurde, versucht der "National Pact" die vorhandenen Spannungen und Antagonismen unter den verschiedenen religiösen Gruppen durch proporzionale Partizipationsmöglichkeiten aller konfessionellen Gruppen am politischen Entscheidungsprozeß zu überwinden. Dieses System stellt seiner Form nach eine "große Koalition" nach Lijphart dar, und die Einbeziehung der Muslime in das politische System führte "...auch bei ihnen zu einem wachsenden Interesse am neuen Staat" (Kuderna 1983:24). Die Religionsgemeinschaften als Grundeinheiten der libanesischen Gesellschaft (vgl. Schlicht 1986a:19) bildeten die Basis der politischen Ämterverteilung. Die proportionale Sitzverteilung im Parlament sieht wie folgt aus:



30 Maroniten ³
20 Sunniten ³
19 Schiiten ³
11 Griechisch-Orthodoxe ³
6 Drusen ³
6 Griechisch-Katholische ³
4 Armenisch-Orthodoxe ³
1 Armenisch-Katholische ³
1 Protestant ³
1 Vertreter sonstiger Minderheiten ³

99 (Kuderna 1983:53) ³



Die Abgeordneten im libanesischen Parlament sind nicht politische Repräsentanten im westlichen Sinne, sondern sie sind zugleich politische als auch religiöse Führer (Zu'ama) einer bestimmten religiösen Gemeinschaft (vgl. Schiller 1979:49).
Die hohe Anzahl an konfessionellen Gruppen im Libanon spiegelt sich im Parlament wider, insgesamt sind 10 konfessionelle Gruppen dort vertreten. Von diesen 10 Gruppen stellen vier Gruppen (Maroniten, Sunniten, Schiiten und Drusen) die politisch bedeutsamsten Akteure. Ein gewichtiges Problem der libanesischen Demokratie ist gerade in der hohen Anzahl der im Parlament vertretenen ethnischen-konfessionellen Gruppen zu sehen, "...the reason is that cooperation among groups becames more difficult as the number participation in negotiations increases" (Lijphart 1977:56). Partizipieren mehr als vier Segmente am politischen Entscheidungsprozeß, wird die Realisierung des "consociational" Modells problematisch. Eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer CD ist nach Lijphart die "multiple balance of power". Sie umfasst zwei separate Elemente, eine Balance oder eine annähernd gleiche Verteilung der politischen Macht unter den Segmenten und das Vorhandensein von mindestens drei verschiedenen Segmenten. Die Kombination aus beiden Elementen ergibt, daß alle Segmente Minoritäten darstellen (vgl. Lijphart 1977:56). Keine Gruppe ist somit in der Lage, eine andere Gruppen zu dominieren. Idealtypisch ist die Kombination:

a) die größte Gruppe bildet eine Minorität;
b) die Anzahl der vorhandenen Segmente beläuft
sich auf mindestens drei, jedoch höchstens vier
verschiedene Segmente und
c) die Größe der einzelnen Segmente (pol. Gewich-
tung) ist annähernd ausbalanciert (vgl. Lijp-
hart 1977:58f).


Für den Libanon lassen sich folgende zwei Modellfälle diskutieren:
A) Die größte einzelne Gruppe (die Maroniten) bildet eine Minorität, jedoch beläuft sich die Anzahl der im Parlament vertretenen Gruppen (Segmente) auf insgesamt 10 und die relative Größe der Segmente untereinander ist unausgeglichen.
B) Sämtliche christlichen Gruppen werden aufgrund angenommener hoher Konsensfähigkeit als eine Gruppe gewertet, daraus ergibt sich folgende Verteilung:

Christen........ .....54%
Sunniten.............20%
Schiiten..............19%
Drusen.................6%
(prozentuale Sitzverteilung)


In diesem Falle ist die Anzahl der Gruppen auf eine für den "Consociationalism" realisierbare Größe reduziert, jedoch bilden die Christen nun eine Majorität im Vergleich zu den anderen Gruppen. Die notwendige annähernde Machtbalance ist nicht erreicht, zumal auch die Konsensfähigkeit unter den muslimischen Gruppen ungleich geringer ist als bei den Christen. Die wesentlichen Forderungen einer CD werden dementsprechend im Libanon nicht erfüllt.

Ein Indikator für den Grad der Fraktionalisierung innerhalb eines Parlaments ist der nach Taylor zu ermittelnde Index(F): "Fractionalization indicates the likelihood that two randomly selected members of the legislative will belong to different parties" (Taylor 1972:21). Der Index(F) variiert zwischen 0 (=vollständige Homogenität) und 1 (=vollständige Fraktionalisierung), d.h. jedes Mitglied des Parlaments gehört zu einer anderen Gruppe.
Im Beispiel A) beträgt der Index(F) 0.9068, im Beispiel B) 0.63. Innerhalb der theoretischen Betrachtungen der Machtverhältnisse im libanesischen Parlament ist die Reduzierung auf vier Segmente nur unter der Annahme möglich, daß die hohe Konsensfähigkeit unter den christlichen Gruppen auf Dauer Bestand hätte. Der Grad der Fraktionalisierung erreicht dann eine für das "consociational" Modell machbare Größe. Dieser positive Aspekt wird aber durch die Disparität des Verhältnisses von 54% Christen zu 45% Muslime wieder aufgehoben. Ein solches Ungleichgewicht widerspricht dem Prinzip der "großen Koalition", wonach gerade die Dominanz einer Gruppe vermieden werden sollen. Anders als in Demokratien nach britischem Muster ist in stark ethnisch-fraktionalisierten Gesellschaften eine Änderung der Machtverhältnisse durch Wahlen kaum zu erwarten, da das Wahlverhalten der ethnischen Segmentierung entspricht. Es ist weiterhin nicht zu erwarten, daß christliche Gruppen je muslimische Repräsentanten wählen würden und umgekehrt. Für den Libanon kommt noch hinzu, daß an der Übereinkunft des "National Pacts" strikt festgehalten wurde. Die christliche Vormachtsstellung ist deshalb quasi rechtlich verankert.
Der Anteil der christlichen Abgeordneten im libanesischen Parlament entspricht zudem nicht dem Verhältnis der Christen an der Gesamtbevölkerung des Landes. Nach dem Lijphartschen Modell sollen die verschiedenen ethnischen Gruppen proporzional zu ihren Bevölkerungsanteilen politisch repräsentiert sein. Im Falle der christlichen Gruppen im Libanon ist dies jedoch nicht der Fall. Sie sind überproportional stark vertreten. Ihre Stellung als Majorität und damit als dominanter politischer Faktor entspricht nicht den realen Bevölkerungsverhältnissen, sondern basiert lediglich auf einem Zensus aus dem Jahre 1932.

1.3.1. Der Zensus von 1932 als Legitimation christlicher Vorherrschaft

Die Schlüsselposition der Christen im Libanon entbehrt jeder Legitimation. Die Christen haben bis heute stets verhindert, daß eine aktuelle Volkszählung durchgeführt wurde. Sie verweisen stets auf den schon damals umstrittenen Zensus von 1932, "for the sake of political compromise government have refrained from holding a census since 1932..." (Who's Who in Lebanon 1977:xy). "For the sake of political compromise..." kaschiert allerdings die Angst der Christen vor den realen Bevölkerungsverhältnissen. Eine Neuordnung der Sitzverteilung im Parlament und in den verschiedenen administrativen Ämtern wäre die unvermeidliche Konsequenz, die sich aus den Daten eines neuen Zensus ergeben würden. "The meaning if this (der Zensus von 1932, d.Verf.) is that there is under-representation of Moslems in the Lebanese Parliament, especially of the Shiites, who have became the second largest community in Lebanon..." (Kliot 1986:8).
Die Verteilung nach diesem Zensus von 1932 sah wie folgt aus:
Schon damals wurden die im Ausland lebenden Libanesen mitberücksichtigt. Das sind immerhin 14.8% Christen im Vergleich zu 5.5% Muslime, die im Ausland leben aber Berücksichtigung finden.
Bis heute werden die zugunsten der Muslime veränderten Bevölkerungsteile mit dem Hinweis auf die hohe Zahl der christlich-libanesischen Auslandsgemeinde, die sich durch Überweisungen etc. am libanesischen Bruttosozialprodukt beteiligt, geleugnet (vgl. Schiller 1979:36). Zudem wird den nicht-christlichen Immigranten die libanesische Staatsangehörigkeit verweigert (vgl. Kuderna 1983:14).
Neuere Zahlenangaben beruhen aufgrund der Weigerung nach einem neuen offiziellen Zensus deshalb auf Schätzungen, die allerdings der Tendenz nach eine Verschiebung der Bevölkerungsteile zugunsten der muslimischen Gruppen belegen (vgl. dazu Shemesh 1986:79/Schlicht 1986b:34/The Europa Year book 19xy:1715).
Nach Shemesh ergibt sich folgendes Bild:

Schiiten:............... ....1.000.000
Sunniten:............... ......800.000
Drusen:............. ..........200.000
Maroniten:..... ...............700.000
Muslime insgesamt:... ......2.000.000
Christen insgesamt:.... .....1.150.000
abs. Bevölkerungszahlen (bez.auf das Jahr 1974)


Das sind in der Gesamtheit 63% Muslime im Gegensatz zu 37% Christen (vgl. Shemesh 1986:79).
Die Schiiten sind zur stärksten Religionsgemeinschaft geworden (ca. 30%), während die sunnitische Gemeinde zahlenmäßig (ca. 20%) etwa den Maroniten gleichkommt (vgl. Kuderna 1988:237).
Die Erkenntnis, die aus diesen Zahlenwerten gewonnen werden kann, zeigt, daß die politische Repräsentation im Libanon diametral zu den Bevölkerungsanteilen verteilt ist. Die bevölkerungsstärkste Gruppe der Schiiten ist ungleich schwach im Verhältnis zu den der Maroniten und der Sunniten vertreten, während die Maroniten sowohl im Parlament dominieren als auch das politisch bedeutsamste Amt das Präsidenten der Republik bekleiden. Diese Tatsache widerspricht gänzlich den Prinzipien des "Consociationalism". Das Bewußtsein um diese Unterrepräsentation der Muslime, bzw. der illegitimen Vorherrschaft der Christen führte schließlich zur Perzeption von relativer Deprivation (partizipatorische Deprivation), die sich im Verlangen nach Reformen und größerer Partizipationsmöglichkeiten äußerte.

1.3.2. Die Verfassung

Die Verfassung des Libanon stammt aus dem Jahre 1926. "Diese älteste geltende arabische Verfassung ist ein Werk der Franzosen" (Ansari 1972:539) und ähnelt der Verfassung der III. Republik Frankreichs:

I. President
II. Premier Ministre
III. Conseil des Ministres
IV. Assemblée Nationale

Im Libanon steht ebenfalls an der Spitze der Executive der Präsident der Republik: "Executive power is vested in the President of the Republic who exercises it with the assistance of Ministers..." (Art.17 d. lib. Verfassung). Der Präsident wird von der Abgeordnetenkammer auf sechs Jahre gewählt. "Der autoritäre Bestandteil des Regierungssystem im Libanon bezieht sich namentlich auf die Rechts- bzw. Machtstellung und Befugnisse des Präsidenten der Republic,..." (Ansari 1972:540).
Die Legislative bildet laut Verfassung die Abgeordnetenkammer (Chamber of Deputies), und setzt sich aus gewählten Abgeordneten zusammen (Art. 24). Der Ministerpräsident (Premier Ministre) und das Kabinett werden vom Präsidenten der Republik bestimmt. "Das libanesische politische System hat keine religiöse Grundlage und basiert auch nicht auf der religiösen Gesetzgebung sondern auf positivem säkularem Recht" (Pohl-Schöberlein 1986:220). Die Besetzung der verschiedenen politischen Ämter ist nicht schriftlich in der Verfassung des Libanon verankert, sondern allein auf den "National Pact" zurückzuführen:

Präsident.................... .....Maronite
Premier Ministre........... ... ....Sunnite
Präsident der Abgeordnetenkammer ..Schiite
Außenminister............ .........Christ
Innenminister....... ...Sunnite
Verteidigungsminister....... ...Druze
(vgl. Mansfield 1973:410)

2. Die Immobilität des politischen Systems als destabilisierender Faktor

Wie die vorhergehende Analyse gezeigt hat, entspricht die Verteilung der Macht (Allokation der politischen Ämter) gemäß der Größe der einzelnen Konfessionen (National Pact) nicht der demographischen Realität in Libanon. Trotzdem wurde an dieser mündlichen Übereinkunft festgehalten, statt das politische System den veränderten Bevölkerungsstrukturen (Verschiebung der Bevölkerungsteile zugunsten der Muslime) anzupassen. Gerade diese Form von Immobilismus ist ein gewichtiges Problem in einer "consociational democracy" (vgl. Lijphart 1977:61). Es führt dazu, daß bestimmte Einheiten der Gesellschaft sich nicht ausreichend repräsentiert fühlen bzw. von einer oder mehrere andrer Gruppen politisch dominiert werden. Die Folge ist ein Legitimationsverfall innerhalb des politischen Systems. Hudson weist an dieser Stelle besonders auf die wachsende Unfähigkeit der libanesischen Regierung hin, auf den israelisch-palästinensischen Konflikt im eigenen Land adäquat zu reagieren. "Instead of being able to mobilize a unified Lebanese population in support of a clear policy..., the leadership found itself progressively delegitimized and drained of authority. At this point ethnoreligious divisions reemerged" (Hudson 1978a:43). Die Muslime erkannten, daß sie der machtpolitischen Vormachtsstellung der Christen auf parlamentarischem Wege kaum entgegentreten konnten. Der Immobilismus des libanesischen Systems drückt sich hauptsächlich in folgenden Punkten aus:

Die christliche Dominanz wurde beibehalten;

Das Ansteigen der muslimischen Bevölkerungstei-
le fand keinen Ausdruck innerhalb des poli-
tischen Systems;

Die Ablehnung eines neuen offiziellen Zensus
verhinderte eine effektive Politik;

Die Allokation der politischen Ämter nach Re-
ligionszugehörigkeit blieb starr der Ab-
machung von 1943 verhaftet;

Die profunde Bedeutung des Sektarianismus
blieb erhalten und behinderte das Ent-
stehen eines Nationalbewußtseines;

Die politische Elite rekrutiert sich fast aus-
schließlich aus den wohlhabenden Familien des
Libanons.

Die Inflexibilität des politischen Systems ist ausserdem Ausdruck eines fehlenden Grundkonsensus (wie z.B. ein alle Segmente einschließendes libanesisches Nationalbewußtsein), der zumindestens zu einer minimalen Kompromißbereitschaft unter den verschiedenen Gruppen führen könnte. "National consensus exist only in the negative form of mutual rivalry and suspicion and an awareness by each group that satisfaction of its own wants must mean the negation of another's, or at least the undermining of another group's sense of security" (Kerr 1966:188).
Barakat bezeichnet den Libanon deshalb als Mosaikgesellschaft: "Lebanon is closer to a mosaic rather than a pluralistic society..." (Barakat 1973:301), denn im Gegensatz zur Mosaikgesellschaft - die lediglich eine Minimalregulation des praktischen Lebens leisten kann - beruht die pluralistische Gesellschaft auf einem Konsensus der wichtigsten Bestandteile der Gesellschaft. "A society is pluralistic inasmuch as it allows for the participation of all groups so that no group,...can possess monopoly of rewards nor dominate others and dictate to them what they should do" (Barakat 1973:302).
Der Wunsch nach dem Erhalt der eigenen Privilegien, insbesondere bei den christlichen Gruppen, aber auch bei den Sunniten und den traditionellen Führern führte zu einer strikten Verweigerungshaltung gegenüber möglichen Reformen. Als der Zusammenbruch des konfessionellen Systems im Libanon (ca.Mai 1975) offensichtlich wurde, brachte es die Regierung nicht fertig, den neuen an sie gerichteten Werterwartungen gerecht zu werden: "...when revolutionary measures were needed to secure the proper reconstruction of the Lebanese State, the team of veteran politicians...had little to offer than an appearance of traditional-respectibility" (Salibi 1976:112). Das Recht des Staates Entscheidungen zu treffen, wurde im Libanon nur inadäquat anerkannt. Und die Abgeordneten konnten sich selten auf wichtige politische Entscheidungen einigen (vgl.. Kerr 1966:191).
Innerhalb dieser Starrheit gewann die Korruption eine immer größere Bedeutung. Nepotismus und die Tatsache, daß eigentlich immer nur die selben Personen auf der politischen Bühne des Libanons agierten, begünstigte dies in erheblichem Maße. Schon bei der Einteilung der Wahlbezirke konnten lokale Führer begünstigt werden und die Aufstellung der Kandidatenlisten war an Geldleistungen und Treueschwüre an den jeweiligen mächtigen Führer gebunden (vgl. Kuderna 1983:63).
Korruption fand in fast allen Bereichen des öffentlichen lebens statt: bei Wahlen, im Parlament, in der Verwaltung, in der Rechtspflege und selbst in den Religionsgemeinschaften (vgl. Kuderna 1983:63ff). Das korruptive Verhalten ist letztlich Ausdruck eines inferioren Staates, sowie seiner stark personenorientierten Politik und dem fehlenden Interesse am Gemeinwohl als Ganzes. Reformversuche scheiterten deshalb schon zumeist in den Anfängen.
1958 versuchte Präsident Chehab, Reformen im Libanon durchzusetzen. Er versuchte eine Modernisierung des Staates herbeizuführen, "...for the sake of a more equitable distribution of wealth and social services..." (Hudson 1978a:42). Seine Reform hatte zum Ziel, die Integration des Landes voranzutreiben, indem er versuchte, den Sektarianismus und die Kluft zwischen Elite und Masse zu reduzieren. Der sog. "Chehabismus" stieß allerdings auf den letztlich erfolgreichen Widerstand der traditionellen Führer (quasi-feudal bosses). Mit der Wahl von Präsident Frangieh (1970) fand schließlich der Chehabismus ein Ende, ohne daß sich wesentliches veränderte (vgl. Hudson 1978a:42). Erst sehr viel später und unter syrischem Druck wurde 1984 eine "Regierung zur Nationalen Aussöhnung" unter Raschid Karamegebildet. In ihr sollten Christen und Muslime gleich stark vertreten sein (vgl. Pott 1986:7). Diese Regierung scheiterte jedoch sehr bald. Auch Ende 1985 wurde wiederum durch Syrien in Damaskus ein "Friedensvertrag" ausgehandelt, der eine Neugestaltung der Macht vorsah: Die Machtposition der Christen sollte reduziert werden, indem die Zahl der Abgeordneten im Parlament sowie in der Verwaltung genau zur Hälfte unter den Muslimen und den Christen verteilt werden sollte. Aber auch dieser "Friedensvertrag" wurde letztlich von keinem offiziellen Repräsentanten unterzeichnet. Der damalige Staatspräsident, Amin Gemayel, widersetzte sich ebenfalls diesem möglichen Abkommen (vgl.Kocher 1986:953).

2.1. Das starre Präsidialsystem unterminiert die Idee des "Consociationalism"

Der Immobilismus des politischen Systems im Libanon ist insbesondere auch auf die Stellung des Präsidenten zurückzuführen. In seiner Person konzentrieren sich fast ausschließlich die politischen Entscheidungsbefugnisse. Die Tatsache, daß das Amt des Präsidenten nur an einen Christen (Maroniten) vergeben werden kann, räumt den Christen deshalb einen entscheidenden Machtvorsprung gegenüber den Muslimen ein (vgl.Shemesh 1986:81). Die Maroniten sahen sich bislang als die einzige Gruppe an, die das gewichtige Amt des Präsidenten einzunehmen in der Lage waren. Nach ihren Vorstellungen sind alle anderen Gruppen unfähig "...the interests of Lebanese sovereignty" (Shemesh ebd.:82) zu wahren. Für die Maroniten darf es keine Änderung des konstitutionellen Status Quo geben.
Die Konzentration der Macht auf das Amt des Präsidenten, und zugleich die starre Festlegung dieses Amtes auf eine konfessionelle Gruppe unterminiert die Idee des "Consociationalism". Eine effektive politische Partizipation aller Gruppen ist dann nicht mehr gegeben. Die prädominante Stellung des Präsidenten stellt deswegen ein Problem für den "Consociationalism" dar, weil eine einzelne Person eine politisch vorherrschende Position einnimmt (vgl. Lijphart 1977:33).
Lijphart nimmt jedoch an, daß dieses Problem dadurch zu lösen sei, daß der Präsident durch andere hohe Amtsträgern (wie z.B. dem Premierminister) kontrolliert werden kann. Diese Möglichkeit des politischen Arrangements sah Lijphart im Libanon realisiert: Die Verbindung von Präsidialamt mit einer Anzahl anderer hoher Exekutivämter wie das des Premierministers, des Präsidenten der Abgeordnetenkammer und des Parlamentssprechers "...can then become a grand coalition, as in Lebanon" (Lijphart 1977:34). Die zwar formal bestehende "große Koalition" im Libanon führte faktisch jedoch nicht zu der für den "Consociationalism" notwendigen Machtbalance. So ist das Amt des Premierministers zwar das wichtigste für die Muslime (Sunniten) vorbehaltene Exekutivamt, doch "...his status is eclipsed by the president's" (Shemesh 1986:81). Der inferiore Status des Premier Ministers war deshalb auch seit der Unabhängigkeit Libanons eine Streitfrage und darum stets ein Teil diskutierter Reformvorschläge (vgl. ebd.:82).
Die Abgeordnetenkammer kann man im Libanon ebenfalls nicht als eigenständige und unabhängige politische Kraft betrachten, die ein Gegengewicht zum Präsidialamt bilden könnte. Zum einen wegen der vorhandenen Überrepräsentation der Christen, zum anderen aber auch wegen des politischen Verhaltens ihrer Abgeordneten: Diese berücksichtigen in erster Linie die Familien und Clans, aus denen sie stammen (nur so ist ihnen andererseits eine Wiederwahl gesichert) als das Staatssystem als Gemeinwohl (vgl. Shemesh 1986:82f). Kerr spricht zudem noch von einem "orphen complex" der Abgeordeneten, die in der Gestalt des Präsidenten einen Patron sehen und eher seine politische Meinung übernehmen als eine durch die Verfassung ja gesicherte eigenständige Politik betreiben (vgl. Kerr 1966:202).
Zur Bedeutung des Präsidentenamtes gibt es bis heute im Libanon kein machtpolitisches Gegenstück.
Ein weiteres spezielles Problem für den Libanon drückt Azar in der Frage aus: "Does the president represent his nation or his religious community?" (Azar 1984:46), d.h. in welchem Verhältnis steht das Sonderinteresse des Präsidenten, seine konfessionelle Gemeinde zu vertreten und wie ist das Allgemeininteresse an seiner funktionalen Rolle als politischer Repräsentant der ganzen Nation? Diese Kopplung von Staatsamt und Konfession trifft für alle politischen Repräsentanten im Libanon zu, doch ist sie besonders problematisch für das Amt des Präsidenten, berücksichtigt man die weitreichenden Machtbefugnisse qua Amtes.
Präsident Chamouns Amtszeit (1952-58) verdeutlicht dieses Problem: Um im Amt bleiben zu können - Chamoun "tempted to try for a constitutionally forbidden second consecutive term..." (Randal 1983:125) -, nutzte er seinen Einfluß als Präsident (Power of Machine Politics) dazu, die Abgeordneten der "chamber of Deputies" an sich zu binden und die Verfassung dahingehend zu verändern, daß seine Wiederwahl möglich wird. Gleichzeitig forcierte er die wieder verstärkt auftretenden Divergenzen unter den religiösen Gruppen, indem Chamoun seine eigene christlich-maronitische Konfession in den Vordergrund rückte: "To gain the fervent loyalty of one wing (d.Christen, d.Verf.) of public opinion rather than the lukewarm respect of all and the loyality of none" (Kerr 1966:206).
Der muslimisch vorwiegend sunnitischen Opposition schwebte zu dieser Zeit allerdings die Vision eines islamisch-arabischen Reiches, bestärkt durch die Annäherung der "sunnitischen" Staaten Ägypten und Syrien, vor Augen (vgl. Hottinger 1976:77). Aus den Gegensätzen heraus entstand eine weitreichende militärische Auseinandersetzung, in deren Verlauf der sunnitische Premier Minister verkündete, daß die Regierung nicht bereit, das Parlament zu einer Verfassungsänderung und einer Wiederwahl Chamouns zu bewegen "...although, the necessary votes were certainly there" (Kerr 1966:206). Die Auseinandersetzung eskalierte schließlich zu dem sog. ersten Bürgerkrieg im Libanon (1958), der einigen tausend Menschen das Leben kostete und die Entsendung amerikanischer Truppen in den Libanon zur Folge hatte.
Erst die Wahl Fouab Chehabs zum neuen Präsidenten beendete die Gefechte (vgl. Kuderna 1988:240).

2.2. Mangelnde Partizipationsmöglichkeiten der politisch sensibilisierten Schiiten

Während die christlichen Gruppen ihre machtpolitische Vormachtsstellung im Libanon behaupten konnten, blieben die Schiiten die am meisten benachteiligte Gruppe. Ihre politische Einflußnahme innerhalb des politischen Systems im Libanon, verglichen mit den anderen konfessionellen Gruppen, blieb fast bedeutungslos. Obwohl die Schiiten mittlerweile die bevölkerungsstärkste Gruppe im Libanon bilden und mit ca. 30% Anteil an der Gesamtbevölkerung sowohl die sunnitischen als auch die maronitische Gemeinschaft übertrifft (vgl. Norton 1984:163) sind sie politisch völlig unterrepräsentiert. Der politische Immobilismus des politischen Systems im Libanon hat bis heute verhindert, daß die Schiiten in politisch bedeutsame Ämter aufrücken konnten. Die Festlegung der politischen Positionen im Libanon nach dem "National Pact", an dessen Zustandekommen die Schiiten nicht einmal teilhatten (vgl. Pohl-Schöberlein 1986:6), schließt einen schiitischen Machteinfluß fast völlig aus.
Benachteiligt sind die Schiiten neben ihrem politischen Status ebenfalls in struktureller und wirtschaftlicher Hinsicht, so daß für den Libanon festgestellt werden kann: "The Schi'i are the most deprived religious community in Lebanon" (Barakat 1973:314).
Gerade die Schiiten können als Beispiel dafür genannt werden, wie aus einem Mangel an politischer Einflußnahme politische Unzufriedenheit entsteht, die sich nach einer Phase der Politisierung dieser Unzufriedenheit schließlich in der Aktualisierung von Gewalt äußert. Nach Gurr sind die Bedingungen für die Perzeption von relativer Deprivation, d.h. für die Diskrepanz zwischen Wertanspruch und Werterwartung aus einer Inflexibilität des Werterepertoirs innerhalb einer Gesellschaft, aus der Verschlechterung der Lebensbedingungen einer Gruppe und aus der Begrenzung der strukturellen Gelegenheiten für diese Gruppe her zu erklären (vgl. Gurr 1974:13). Dies traf auf die Schiiten im Libanon zu.
Mangelnde politische Partizipationsmöglichkeiten seitens der Schiiten verhinderte, daß sie aktiv an der politischen Gestaltung des Libanons teilhaben konnten,um eine auf politischem Wege mögliche Verbesserung ihrer eigenen Situation bewirken zu können.
Wie weiter oben dargestellt, leben die Schiiten hauptsächlich in den strukturschwachen ländlichen Gebieten des Südens und der Bekaa, wo sie sich zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert ansiedelten (vgl. Pohl-Schöberlein 1986:77). Zum größten Teil leben sie dort von der Landwirtschaft, die allerdings aufgrund der Fortschritte im Dienstleistungssektor (hauptsächlich Beirut) stetik an Bedeutung verlor. Der Anteil der Landwirtschaft am Volkseinkommen sank von 30% (1940) auf 8% (1978) (vgl. ed.:115ff). Die Gründe dafür lagen hauptsächlich in der Stagnation der Preise für die Ernte, in der Vergrößerung des kapitalintensiven Zitrusanbaus, dem Anwachsen des Arbeitskräftepotentials um ca. 3% pro Jahr zwischen 1970-80, in der unsicheren und gefählichen Umgebung, sowie in dem Ausbleiben von finanzieller Unterstützung von seiten der Regierung (vgl. Norton 1984:165ff). Obwohl die Bekaaebene und der Süden rund 63% der Gesamtfläche des Landes umfassen und zusammen ca. 40% der Gesamtbevölkerung hier leben, erhalten diese Gebiete nur ca. 3.31% des staatlichen Budgets. "Der Hauptteil des Budgets fließt in die Kassen Beiruts" (Pohl-Schöberlein ebd.:115ff).
Das Einkommen der Schiiten lag 1971 mit fast 30% unter dem nationalen Durchschnitt. Ebenso verfügen die Schiiten über ein relativ niedriges Bildungs- und Ausbildungsniveau: Ca. 50% der Schiiten sind ohne jegliche Schulausbildung (im Südlibanon macht die Schülerschaft nur ca. 14.6%, in Beirut hingegen 55.9% aus) (vgl. Pohl-Schöberlein ebd.:149). Die ausgeübten Berufe beschränken sich zumeist auf den Beruf des Bauern, des Kleinstwarenhändlers und des Arbeiters (vgl. Norton ebd.:163). Es fehlt an fließendem Wasser, die Elektrizität funktioniert zumeist nicht, außerhalb der größeren Zentren gibt es keine Telefonverbindungen und die medizinische Versorgung ist völlig unzureichend. Bis heute hat sich an dieser Situation der Schiiten im Libanon nichts wesentliches geändert (vgl. Norton ebd.:164).
Die Verarmung auf dem Lande bewirkte auch bei den Schiiten eine Migrationsbewegung hauptsächlich in die Regionen um Beirut. Diese Mobilität von Teilen der schiitischen Gemeinschaft führte zu einer verstärkten Sensibilisierung gegenüber den politischen Verhältnissen im Libanon. Das daraus folgende Bedürfnis nach größerer politischer Beteiligung am politischen Geschehen im Libanon wurde jedoch nicht realisiert
Zum einen fehlte es den Schiiten an der nötigen Institutionalisierung ihrer politischen Vorstellungen, zum anderen schloß das starre System des Konfessionalismus eine größere politische Partizipation der Schiiten am politischen Entscheidungsprozeß von vorneherein aus: "The question...seemed not to be whether the Shi'as would find their political voice, but who, or what organization(s) would provide it" (vgl. Norton 1984:169). Darum manifestiere sich der Wunsch nach größerer politischer Machtverteilung innerhalb der schiitischen Gemeinschaft. Erst die Organisation dieser politischen Unzufriedenheit bewirkte, daß die Schiiten eine bedeutsame politische Kraft im Libanon wurden.

2.2.1. Die Bewegung um Musa al-Sadr

Die Etablierung der Schiiten als wichtige politische Kraft ist in erster Linie das Werk von Imam Musa al-Sadr. Al-Sadres Leistung ist darin zu sehen, daß er es verstand, aus der entstandenen politischen Sensibilität der schiitischen Gemeinschaft, konkrete politische Vorderungen abgeleitet und für eine Institutionalisierung dieser politischen Forderungen gesorgt zu haben.
Musa al-Sadr ist 1928 in Qum (Iran) geboren worden. Er stammt aus einer Familie, die zur obersten Spitze der schiitischen Gelehrtenaristokratie gehörte (vgl. Göbel 1984:87). 1957 besuchte er zum ersten Male den Libanon, und 1959 siedelte aufgrund einer Einladung der schiitischen Gemeinde in den Libanon um. Präsident Chehab verlieh ihm bald darauf die libanesische Nationalität, "a rare act that was an early confirmation of his growing influence in Lebanon" (Norton 1984:170).
Im Libanon wandte sich al-Sadr den speziellen Problemen der libanesischen Schiiten und deren Siedlungsgebieten zu. Sein erstes Augenmerk galt der Etablierung einer offiziellen schiitischen Vertretung, wie sie für die anderen Konfessionen bereits bestand. Diese offizielle Vertretung sollte die Interessen der Schiiten im Libanon wahren und auf ihre profunde Benachteiligung aufmerksam machem (vgl. Pohl-Schöberlein 1986:210f).
1967 wurde der "Oberste Schiitische Rat" ins Leben gerufen und vom libanesischen Parlament genehmigt. 1969 wurde al-Sadr zum Präsidenten dieses Rates gewählt (ebd.:211). Seine Macht stützte al-Sadr haupsächlich auf die schiitische Unterschicht, auf die Bauern und auf die städtischen Massen (vgl. Göbel 1984:87). Die Gründung dieses Rates war ein politisch bedeutsamer Vorstoß der Schiiten, ihren speziellen Bedürfnissen einen politischen Ausdruck zu verleihen. Der Rat gewann schnell politischen Einfluß (vgl. Salibi 1976:63). Knapp ein Jahr nach der Gründung des Rates organisierte al-Sadr einen Generalstreik im Südlibanon, um auf die besondere Notlage der Schiiten aufmerksam zu machen. Die Regierung in Beirut gründete daraufhin das "Council of the South", das die Modernisierung des Südens unterstützen sollte. Jedoch verlor dieses "Council of the South" aufgrund von Korruption rasch seine Bedeutung (vgl. Norton 1984:170). Die Schiiten fanden nicht die erhoffte Aufmerksamkeit seitens der politischen Führung im Libanon.
Am 17. März 1974 versammelten sich daraufhin rund 75.000, teils bewaffnete Schiiten um Musa al-Sadr und riefen zum politischen Kampf auf, der so lange dauern solle, bis "...all social grievances in Lebanonm among Shiits and others alike, were redressed and until all citizens of Lebanon come to enjoy equal rights" (Salibi 1976:78). Dieser Bewegung verliehen die Schiiten den Namen "Harakat Makrumeen" (Bewegung der Beraubten). Sie sollte die Regierung des Landes dazu zwingen, endlich für die Probleme der Schiiten einzutreten (Norton 1984:170f). Aus ihr bildete sich dann 1975 mit dem Ausbruch des bewaffneten Konfliktes im Libanon, die schiitische Miliz "Afwaj al-Muqawimah al-Subnouiyah" (Libanesische Widerstandsabteilungen), deren Akronym "Amal" zugleich "Hoffnung" bedeutet (vgl. ebd.:171).
Zur Heldenfigur wurde Musa al-Sdr durch sein mysteriöses Verschwinden nach einem Besuch bei dem lybischen Revolutionsührer Quddafi zwischen dem 25. und dem 31. August 1978. Sein Verschwinden hatte für die Amal eine große symbolische Bedeutung (Märtyrercharisma) (vgl. ebd.:177), seine Person genießt noch heute bei seinen Anhängern "...eine geradezu kultische Verehrung" (Göbel 1984:88).

2.2.2. Die politische Bedeutung der Amal

Auch nach dem Verschwinden von Musa al-Sadr sollte die Amal an immer größerem politischem Gewicht im Libanon gewinnen. "Die Stärke von Amal lag anfangs darin, daß sie sich auf einen Konsens der schiitischen Gemeinde stützte, der noch umfassender war als der der Maroniten mit ihrer Falange" (Khalid 1985:142). Der Grund für die breite Unterstützung, bzw. für die Bereischaft, der Bewegung beizutreten, ist ebenfall darin zu sehen, daß die Amal ein Mindestmaß an Sicherheit gegenüber der Bedrohung seitens anderer Milizen, der Palästinenser und den Israelis für die Schiiten bot (vgl. Norton 1984:184).
Nach dem Verschwinden Musa al-Sadres wurde Nabih Berri die neue Integrationsfigur der schiitischen Bewegung. Berri, Sohn eines libanesischen Emigranten, wurde 1940 in Freetown (Westafrika) geboren. 1975 kehrte Berri in den Libanon zurück und schloß sich Musa al-Sadr an, und er wurde bereits 1978 Sadres Stellvertreter. Schließlich rückte er 1980 an die Spitze der Bewegung (vgl. Khalid 1985:141f).
Berri kritisierte den Konfessionalismus im Libanon als die Ursache des Konfliktes überhaupt. Nach seiner Ansicht hat der Konfessionalismus die Enstehung eines libanesischen Nationalismus verhindert: "The 1943 National Pact that we created is a partitionist pact. It helped us to build a farm, not a country...I say this Pact is the root of all our troubles" (Zit.n. Norton 1984:190). Berri forderte die Abschaffung des Konfessionalismus und eine neue Verfassung als Möglichkeit eines politischen Neubeginns im Libanon. Dabei verstand er sich als libanesischer Nationalist schiitischer Konfession (vgl.Khalid 1985:143f), d.h., er sah sich in erster Linie als Bürger des Staates Libanon und er fühlte sich weniger den Forderungen des islamischen Fundamentalismus (islamische Revolution wie im Iran) oder den Forderungen des Panarabismus verbunden.

Eine libanesische Identität stand für ihn im Vordergrung. Diese Haltung brachte ihm die massive Kritik der konservativen islamischen Religionsführer ein. Sie hielten ihm Laizismus, Verwestlichung und ein zu verhaltenes Engagement im Bürgerkrieg vor (vgl. Khalid1984:142). Einer dieser Kritiker war Husain Musawi, der unbedingt dem iranischen Beispiel folgen wollte. Musami wurde dann aber 1982 aus der Amal ausgestoßen (vgl. Norton 1984:194) und gründete daraufhin die sich steng auf den Islam berufende Bewegung "Hawakat al-amal al-islamiya" (Islamische Hoffnungsbewegung). Zugleich aber entstand eine neue und mächtige Bewegung mit dem Namen "Hezballh" (Partei Gottes), die ganz auf den iranischen Revolutionsführer Khomeini eingeschworen ist (vgl. Khalid 1985:142f).
Trotz dieser zum Teil auch mächtigen schiitischen Splittergruppen besitzt die Amal auf den politischen Richtungsstreit einen wichtigen Einfluß. Eine politische Neugestaltung des Libanons ist ohne Berücksichtigung und Beteiligung der Schiiten nicht mehr denkbar (vgl. Norton 1984:199). "The most impressive phenomenon in the Lebanese crisis has been the emergence of the Shi'ites as the forerunners of the Lebanese national resurgence among Muslims" (Shemesh 1986:91). Die Amal hat die Neuordnung des politischen Systems unter adäquater Beteiligung der Muslime als Hauptziel vor Augen. Die von Radmilovic unterstellte "separatistische Aktivität" der Amal ist deshalb eher der iran-treuen Hizballh beizumesen (vgl. Radmilovic 1987:23), die einen an Khomeini gebundenen islamischen Süden schaffen will. "The Hizballh is Islamic first, Lebanese second" (Jerome 1986:7).
Die Amal versucht jedoch in jüngster Zeit, ihre erlangte dominante Rolle, besonders im Süden des Landes gegen jeden möglichen Herausforderer zu verteidigen (vgl. Hagopian 1985:2f). Herausforderer bilden die Hizballha, die Drusen, die christlichen Milizen und die Palästinenser. Aus diesem Grunde kommt es immerwieder zu Kämpfen zwischen den schiitischen Gruppen Hizballah und Amal (Rivalitäten um den schiitischen Führungsanspruch) (vgl. Schlicht 1986a:22). Andererseits versucht die Amal, sich gegen die christlichen Gruppen zu behaupten: "Amal is in a process of securing its monopoly of controll in territories out of reach of the Phalange" (Hagopian 1985:9). Ein weiterer Hauptkonkurrent um die Führung im Süden bilden die Palästinenser. Der sog. "Lagerkampf", d.h. die Besetzung und Kontrolle der palästinensischen Flüchtlingslager ist aus diesem Grunde von der Amal 1985 begonnen worden (vgl. Kassir 1987:16).

Die Kritik der Amal am konfessionellen System im Libanon und damit am "National Pact" von 1943 findet sich ebenfalls bei den anderen muslimischen Gruppen im Libanon wieder, deren politische Ausrichtungen sich jedoch von denen der Schiiten unterscheiden.

3. Identifikationsprobleme und politische Polarisation: Der "National Pact" scheitert

Das Beispiel der Schiiten im Libanon hat deutlich gemacht, wie sehr der Immobilismus des politischen Systems dazu führen konnte, daß die Diskrepanz zwischen partizipatprischer Werterwartung und realer Werterfüllung schließlich in Form politischer Gewalt ihren Ausdruck fand. Der auf dem "National Pact" beruhende "Consociationalism" im Libanon scheiterte aufgrund seiner Inflexibilität den neuen Wertansprüchen (z.B. größere Partizipationmöglichkeiten), respektive bei den muslimischen Kräften, gerecht zu werden. Das politische System war nicht in der Lage und auch nicht willens, für einen dringend notwendigen Ausgleich der möglichen Wertepositionen unter den konfessionellen Gruppen zu sorgen. Auf seiten der christlichen Gruppen verstärkte sich hingegen die Furcht davor, ihre erlangten Wertepositionen aufgeben zu müssen in dem Maße, in dem sich die Forderungen nach politischer Veränderung auf seiten der Muslime verstärkten. Für die christlichen Gruppen im Libanon galt es, die eigenen Wertepositionen innerhalb des politischen System im Libanon nach Möglichkeit gegenüber den "Reformisten" zu verteidigen und am Status Quo festzuhalten. Die Infragestellung des "National Pact" durch die Muslime war die logische Konsequenz, die sich aus ihren Bestrebungen nach Realisierung der gestiegenen Werterwartungen ergab.
Für sie stellte sich damit aber zugleich die Frage nach der nationalen Identität, so daß neben den sozio-ökonomischen Konflikten, den intra-elitären Autoritätskonflikten und den konfessionellen Antagonismen, die Polarisation zwischen panarabischer Identität und maronitisch-nationaler Identität die Auslösende Ursache für die bewaffnete Eskalation im Libanon war (vgl. Hudson 1978b:270). "At the base of irtra-Lebanese violence and conflict is a crisis of identity and loyalty" (Khalidi 1983:146).
Die Christen (insbes. die Maroniten) verstehen sich als distinkte kultuelle, religiöse und ethnische Gruppe, die der Gefahr ausgesetzt ist, im fortschreitenden Arabismus unterzugehen. Aus Furcht vor muslimischer Hegemonie wird von ihnen jedes Konzept politischer Dekonfessionalisierung abgelehnt (vgl. ebd.:146).
Der libanesische Nationalismus ist in erster Linie mit der politischen Vorstellung der Maroniten besetzt. Unter den christlichen Gruppen gibt es keine einheitliche Vorstellung von einem libanesischen Nationalismus: Einige hatten die Vorstellung von einem verkleinerten Christenstaates innerhalb der Grenzen des ehemaligen Libanons (Mount Liban). Andere verstanden unter einem libanesischen Nationalismus einfach die Beibehaltung der christlichen Dominanz. Zwar gab es auch die Vorstellung einer konfessionellen Balance mit der Möglichkeit einer nationalen Integration, doch propagierten andere wiederum einen laizistischen Libanon aber auf der Basis des phönizischen Erbes (vgl. Kuderna 1983:60f).
Insgesamt ist der libanesischen Gesellschaft bisher nicht gelungen, ein einheitliches Nationalbewußtsein zu schaffen und damit eine eigenständige libanesische Identität. "Das auffälligste Identitätsproblem in Libanon ergibt sich aus der Frage der kulturellen Zugehörigkeit zum Westen oder zur arabischen Welt" (ebd.:86). Die sich daraus ergebenden Gegensätze führten zu einer wachsenden Polarisierung der libanesischen Gesellschaft, die schon in der Konfliktsituation 1958 gegenwärtig war: Die Muslime unterstützten die panarabisch-sozialistische Bewegung des ägyptischen Präsidenten Nasser, mit der Zielvorstellung eines möglichen Anschlusses an die von Ägypten und Syriengebildete "Vereinigte Arabische Republik". Dieser Vorstellung widersetzten sich natürlich die kulturell und politisch dem Westen zugewandten christlichen Gruppen (vgl. Schlicht 1986b:3). Das Erstarken der arabischen Identität bei den Muslimen wurde von den Christen als Herausforderung betrachtet. Sie befürchteten, daß sie dem "Arabismus" unterliegen würden (vgl. Salibi 1976:1ff). Shemesh sieht in dem Konflikt von 1958 eine Vorstufe des Konfliktes von 1975, "...for the decisive struggle for Lebanese identity..." (Shemesch 1986:80). Eine Eskalation wurde damals jedoch durch die Intervention amerikanischer Truppen verhindert. Zudem bewirkte die Wahl von Präsident Chehab - in den sog. Chehabismus wurden Hoffnungen nach Reformen gelegt - eine Mäßigung unter den Konfliktparteien. "In 1958, the confrontation between the Muslims and the Christians of the country had resulted in a gerneral political colapse,...opening the way for social changes on a more rapid and radical scale" (Salibi 1976:7).
Externe Bedrohungen förderten allerdings in der Folgezeit den Prozeß der Polarisation, weil es sich bei diesen Bedrohungen von außen nicht um von allen Gruppen gemeinsam wahrgenommenen Feinde handelte: Für die Christen bedeutete der Panarabismus und die Anwesenheit der Palästinenser im Libanon eine Gefahr für ihre Vorstellungen eines unabhängigen Libanons. Für die Muslime hingegen bedeuteten diese Kräfte Unterstützung und Solidarität. Andererseits teilten die Christen mit den Israelis die gemeinsame Feindschaft mit den Palästinensern und mit den panarabischen Aktivisten (vgl. Hudson 1978a:40f). Der israelisch-arabische Konflikt vollzog sich so quasi durch die libanesische Gesellschaft.
"The communities'struggle for power in the state and for the shaping of its identity was essentially an ideological battle with political and social content" (Shemesh 1986:79). Entlang der ideologischen Trennungslinien vollzog sich auch die politische Polarisation (vgl. ebd.). Hier ist allerdings die Unterscheidung zwischen einer rechtsgerichteten Front und einer fortschrittlichen Front (vgl. Radmilovic 1987:23) nicht genügend ausdifferenziert. Die Polarisation fand vielmehr zwischen der arabisch-zentrierten und der libanesisch-zentrierten politischen Kultur statt (vgl. Snider 1984:126).
Mit dem Prozeß der Polarisation wurde auch das Verlangen nach regionaler Autonomie unter den verschiedenen Gruppen immer stärker. Wie in Kapitel yx dargestellt wurde, konzentrierten sich die einzelnen Gruppen von jeher in ganz bestimmten Regionen des Landes, in den zum Teil ein eigenständiges Normen- und Rechtssystem bestand. In dem Maße, wie sich die Polarisation fortsetzte, verstärkten sich auch die regionalen Autonomiebestrebungen: Die Drusen strebten nach einer vollständigen Autonomie ihrer Gebiete. Für die eher gemäßigenten Gruppen unter den Christen hingegen erwuchs die Frage nach einer Kantonisierung des Landes. Und die Schiiten, die solche Bestrebungen in der Vergangenheit stehts opponierten, begannen, nach ähnlichen Wegen zu suchen (vgl. Jureidini 1984:30). Innerhalb der von den jeweiligen konfessionellen Gruppen in Anspruch genommenen Gebiete existieren bis heute feste Organisationsstrukturen. Zudem verfügt jede poliisch bedeutsame Gruppe über eine eigene Miliz. Für die entsprechende Zivilbevölkerung ist es zumeist unumgänglich aus Sicherheitsgründen, in die Kontrollgebiete der jeweiligen Miliz auszuweichen. Hier ist die Bevölkerung zugleich angehalten, die Ziele der Religionsgemeinschaft zu unterstützen. "Dies gilt vor allem für junge Männer, die bei Bedarf von den jeweiligen Milizen auch zwangsrekrutiert werden" (Pott 1986:9).
Aufgrund von regionaler Konzentration, von entwickelten Organisationsstrukturen in den jeweiligen Gebieten, und aufgrund hoher Loyalität gegenüber der konfessionellen Gemeinschaft verfügen die einzelnen politischen Organisationen über ein hohes Maß an Zwangskontrolle (Coircive Control).

3.1. Panarabische Identitiät und die "Nationale Bewegung"

Die auf den ägyptischen Präsidenten Nasser zurückgehende Idee eines arabischen Sozialismus erreichte auch im Libanon eine große Zahl muslimischer Gruppen. Die fehlende libanesische-nationale Identität wurde durch die Fiktion einer panarabischen Identität ersetzt, und der Libanon dabei als Teil der arabischen Welt angesehen. Eine Teilnahme an der interarabischen Politik wurde angestrebt (vgl. Snider 1984:121). Das grob umrissene Ziel des Panarabismus ist der politische Zusammenschluß aller arabisch sprechenden Länder "...between the Atlantic Ocean and the Persian Gulf, from Marocco to Oman..." (Pipes 1987a:19). Der Panarabismus postuliert die Existenz einer einzigen arabischen Nation. Seine supranationale Konzeption übergeht die Legitimität der Nationalstaaten (vgl. Khalidi 1983:94f).
Die Idee eines arabischen Nationalismus wurde bereits in den 50er Jahren von den traditionellen Fühern dazu benutzt, die muslimischen Massen gegen den damaligen Präsidenten Camille Chamoun aufzubringen. Als Ideologie beinhaltet der arabische Nationalismus gleichfalls entsprechende "Slogans" für eine Mobilisierung der Massen und letztendlich auch entsprechende Rechtfertigungen für politische Gewalt (vgl. Deeb 1980:61).
Im Libanon sammelten sich all diejenigen Kräfte, die dem Panarabismus anhingen, um die "Progessive Socialist Party" (PSP)(vgl. Schiller 1979:69), aus der später die "Nationale Bewegung" hervorging. Ein erster Versuch eine Verbindung der verschiedenen arabisch zentrierten Parteien zu bewirken, unternahm Kamal Jumblatt im Jahre 1965. In diesem Jahr schloß sich seine PSP mit der "Lebanese Communist Party" und der "Arab National Movement" zur "Front of Progressive Parties, Organization and Personalities" (FPPOP) zusammen, die jedoch bereits 1967 aufgrund von intraarabischer Spannungen wieder zerfiel (vgl. Deeb 1980:62). Erst im Jahre 1972 vereinigten sich dann verschiedene muslimische Gruppen zur "Front of National and Progressive Parties and Forces" (FNPPF), die schließlich als "Nationale Bewegung" bekannt wurde (vgl. Deeb 1980:64). Diese Bezeichnung ist ein kollektiver Name für eine Vielzahl von z.T.politisch unterschiedlicher Gruppen, deren Gemeinsamkeit in der arabisch-zentrierten politischen Ausrichtung zu sehen ist. Die Graphik auf Seite xy zeigt die Positionen der wichtigsten Gruppen innerhalb der "Nationalen Bewegung". Sie zeigt gleichzeitig, daß die Mehrzahl der Gruppen neben ihrer arabischen Zentrierung eine starke Affinität zum Islam vorweisen. Lediglich die "Lebanese Communist Party" und die beiden Flügel der "Syrian Social National Party" (SSNP bzw. SNSP) besitzen eine eher sekulare bzw. christliche Ausrichtung.
Die schiitische Gemeinschaft zählte sich nicht zu den eigentlichen Anhängern der NB, da ihre politische Ausrichtung muslimisch aber dennoch libanon-zentriert ist.Anfänglich kämpften die Schiiten zwar auf der Seite der NB (vgl. Deeb 1980:69), doch ist dies als eine temporäre Unterstützung zu werten, um gleichfalls schiitischen Forderungen Nachdruck verleihen zu können. Amerikanische Diplomaten werteten schon mitte der 60er Jahre Musa al-Sadr als potentieller Rivale Nassers und als Bollwerk gegen den nasseristischen Einfluß auf die schiitische Gemeinschaft im Libanon. Von Anfang an hatte Musa al-Sadr eineigenes politisches Konzept, "...one that could not have been easily harmonized with what passed for Nasserism in Lebanon (Ajami 1986:112). Die Schiiten befanden sich somit in einem Spannungsfeld zwischen einem maronitisch dominierten Nationalismus und der panarabischen Bewegung, eine für die schiitische Identität problematische Situation (vgl. ebd.:158).

Die politischen Forderungen der NB verkündete Jumblatt am 18.8.1975. Gefordert wurde damit, die Abschaffung des politischen Sekterianismus durch Sekularisation, als Folge davon die Abschaffung des konfessionellen Systems im Libanon, eine Wahlrechtsänderung zugunsten des proportionalen Wahlrechts, eine Dezentralisierung, eine Machtbeschneidung des Präsidenten, eine größere Machtbalance, die Erweiterung der Bürgerrechte und die Erleichterung der Einbürgerung, sowie eine Reorganisation der Libanesischen Armee (vgl. Deeb 1980:74ff/Salibi 1976:21). Allerdings war keine Regierung (al-Suhl; Karame) in der Lage und auch willens, diese Forderungen anzunehmen und politisch zu realisieren.

Das Ausbrechen der militärischen Konfrontation zwischen Palästinensern und der christlichen Miliz "Kataeb" in Sidon (25.2.1975) und in Ain al-Rummana (13.4.1975) führte zu einer Mobilisierung der NB und der sie unterstützenden Massen und zu einer aktiven Teilnahme an den Kämpfen: "The National Movement partizipated in the fightings that followed the 'Ain al-Rummana incident..." (Deeb 1980:70).
Nachdem Ministerpräsident Raschid al-Suhl zurückgetreten war und es darum ging, eine neue Regierung zu bilden, legte Jumblatt als Vertreter der NB sein Veto gegen eine Beteiligung der Kataib an einer neuen Regierung ein. Staatspräsident Frangieh unternahm daraufhin eine unübliche Initiative und beauftragte den sunnitischen Brigadier Nur al-Din damit eine neue Regierung zu bilden, die ausschließlich aus Militärs bestand (sog. Military Cabinett, 23.5.1975). Eine Zweckkoalition der verschiedenen Bewegungen (Karame, Jumblatt, al-Sadr) bildete sich mit dem Ziel, das "Militäry Cabinett" abzusetzen, das schließlich am 28.5.1975 zurücktrat. Raschid Karame wurde mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, die schließlich nur unter syrischer Vermittling zustande kam (30.6.1975), allerdings ohne Jumblatt und Kataib (vgl. Salibi 1976:106ff). Damit war eine Beilegung des Konfliktes auf politischem Wege ausgeschlossen. Die politischen Vorgänge wurden von massiver Gewalt begleitet (vgl. Spiegel 10.11.1975).

Mit der Beteiligung der "Nationalen Bewegung" an den gewaltätigen Auseinandersetzungen zwischen libanesischen Christen und Palästinensern wurde schließlich der sog. libanesische Bürgerkrieg eingeleitet. Denn erst am diesem Zeitpunkt kam es zu heftigen Kämpfen zwischen innerlibanesischen Kräften.

3.2. Der libanesische Nationalismus auf christlicher Seite

Während die in der "Nationalen Bewegung" vereinten Muslime eine politische Union aller arabischen Länder anstrebten und damit eine große Affinität gegenüber einer panarabischen denn libanesisch-nationalistischen Identität besaßen, besann sich die Mehrzahl der christlichen Gruppen auf ein nationalstaatlichesIdeal von einem souveränen und von seinen arabischen Nachbarn unabhängigen Libanon. Hauptprotagonist dieses Ideals eines libanesischen Nationalismus waren von jeher die Maroniten. Sie wollten den unabhängigen Status des Libanon nach Auflösung osmanischen Reiches und nach der Beendigung der französischen Mandatsherrschaft über den Libanon beibehalten und nicht in einem großarabischen oder großsyrischen Reich aufgehen (vgl. Köhler 1979:300). Ihre, von Pierre Gemayel 1936 gegründete Bewegung mit dem Namen "Kataib"entwickelte sich zu einer nationalen Parteiorganisation (vgl. Kuderna 1983:109), die den speziell maronitischen Nationalismus als Modell für den gesamten Libanon zu erweitern suchte. Gleichzeitig versuchte die Kataib aus der Geschichte des Landes heraus, eine von seinen arabischen Nachbarn unterschiedliche historische, sozialkulturelle und religiöse Erfahrung zu beweisen:

Der Libanon sei von jeher ein Refugium für eth-
nische und politische Minderheiten gewesen;
die Libanesen könne man nicht zur arabischen
Rasse zählen;
der arabische Nationalismus sei untrennbar mit
dem Islam verbunden und deshalb von der lai-
zistischen multikonfessionellen Gesellschaft
des Libanon zu trennen (vgl. Kuderna ebd.:110f).

Die christliche Gemeinschaft im Libanon war in verschiedene Gruppen zersplittert, wenngleich auch die Kataib die bedeutenste war. So gab es doch, wie weiter oben schon angesprochen, unter den christlichen Gruppen verschiedene Ansichten über den nationalstaatscharakter Libanons:

Einen libansischen Nationalismus, der den
Libanon als kulturelle, politische und
territoriale Einheit sah, um eine Identität
von Kultur- und Staatsnation bewirken zu
können;

Eine strikte Trennung des christlichen Werte-
systems von dem arabischen, unter in Kauf-
nahme einer möglichen Trennung des Landes;

Eine Einheit unter Berücksichtigung aller
Wertesysteme, die Einflüsse von außen unbe-
rücksichtigt läßt (vgl. ebd.:210ff).

Allen speziellen Vorstellungen eines libanesischen Nationalismus gemein ist das Streben nach einem unabhängigen Libanon, dessen eigenständige Souveränität Schutz vor externen, sowie internen Bedrohungen bieten sollte (vgl. Snider 1984a:120f).
Eine Veränderung des politischen System wurde von den libanesischen Nationalisten aus Furcht an Einfluß verlieren zu können und mit dem Hinweis auf die Rückständigkeit der arabischen Nachbarn stehts abgelehnt (vgl. Barakat 1973:306). Die seit 1960 wachsende Zahl der Palästinenser im Libanon verstärkte die Angst vor einer "Arabisierung" des Landes. In dieser Situation tat sich besonders die maronitische Kataib hervor, die als "...ideological school of Lebanese nationalists" (Shemesh 1985:86) angesehen wurde. Die Kataib fürchtete besonders die wachsende Symbiose der panarabisch orientierten Gruppen mit den Palästinensern im Libanon (vgl. Khalik 1983:69). "The cry of political deconfessionalism raised by Jumblatt and the National Movement was therefore seen by the Maronites as an attempt to establish Moslem majority rule, albeit under the guise of secularization, at the expense of the predominant Christian status guaranteed by the 1943 National Pact" (Khalidi ebd.:70). Die Furcht teilte die Kataib auch mit anderen christlichen Organisationen und politischen Führern, so daß der Wunsch nach einer Zusammenarbeit der verschiedenen christlichen Gruppen entstand. Der von Camille Chamoun 1959 gegründeten "National Liberal Party" schloß sich der Kataib an. Chamoun suchte Unterstützung bei den Maroniten indem er die pro-nasseristischen Gruppen für eine Unterminierung der libanesischen Unabhängigkeit verantwortlich machte (vgl. Deeb 1980:26). Seine "(..)`National Liberal Party'...tended to repräsent the interests of the Christian big bourgeoisie" (Deeb 1980:27). Zu einer Zusammenarbeit bereit waren außerdem Suleiman Franjieh, der zwischen 1970 und 1976 das Amt des Staatspräsidenten bekleidete, sowie der christlichen Religionsführer Sharbel Kassis und verschiedene andere christliche Milizen(Khalidi 1983:70f).
Mit dem Beginn der Kämpfe zwischen der Kataib und den Palästinensern und dem Versuch Jumblatts, die Phalange politisch zu isolieren, verfestigte sich die Kooperation dieser christlichen Parteien und Gruppen (vgl. Deeb 1980:31). Als Reaktion auf die Auseinandersetzungen im April 1975 ist deshalb die Formierung aller christlichen Parteien und Gruppen in die sog."Front for Freedom and Man" zu werten (vgl. Snider 1984b:13), die schließlich den Namen "Libernese Front" (LF) annahm. Eine vereinte Kommandostruktur der Lebanese Front wurde am 30.8.1976 mit der Schaffung des "Joint Command Council of the Lebanese Forces" (LFs) erreicht, die anfangs reine Koordinationsaufgaben zu übernehmen hatte, später jedoch zu einer eigenständigen und bedeutsamen politischen Kraft wurde (vgl. Kuderna 1983:98).
Die nationalistisch ausgerichtete Libanese Forces verfasste 1977 ein Dokument, die "National Charter", die die Ziele ihrer Politik beschreiben sollte. Das Dokument war von den wichtigsten christlichen "historic leaders" unterzeichnet worden und beinhaltete folgende Punkte: den Wunsch nach einem völlig unabhängigen und souveränen Libanon, keine Absorbtion in ein größeres politisches Gebilde, die Rückbesinnung auf den Natonal Pact von 1943 mit der Modifikation einer Dezentralisierung bzw. Föderation als geeignetes Mittel zur Schaffung eines vereinten Libanons, keinerlei eventuellen Benachteiligungen christlicher Gruppen, die Rekusation aller fremden Mächte im Libanon (respektive die Palästinenser) und schließlich die Ablehnung einer möglichen Teilung des Landes (vgl. Snider 1984b:14f).
In diesem Positionspapier der Lebanese Forces wird ihre nationalistischePosition deutlich. Allerdings werden aber auch vorsichtige Zugeständnisse an die Muslime gemacht, deren Umsetzung jedoch weiterhin offen bleibt, zumal es nicht klar ist, wie mögliche Verhandlungen aussehen könnten: "What is not clear is what, in the Front's view, constitutes an acceptable range of negotiating partners" (Snider 1984b:15).
Das Selbstverständnis der LFs reicht soweit, daß sie sich als quasi staatliche Organisation betrachten: In dem Maße, wie die eigentliche Zentralregierung an politischer Bedeutung verlor, übernahmen die LFs staatliche Aufgaben (vgl. Snider 1984a:140). Sie übernahmen Bereiche der Außenpolitik und unterhielten Büros in verschieden wichtigen Städten wie z.B. Washington, Paris, Genf und Bonn. Desweiteren sorgten sie in den Gebieten ihrer Kontrolle für die Steuereinahmen (ohne die formale Autorität der Regierung zu besitzen). Den Kontakt zur jeweiligen Bevölkerung stellen die LFs durch die "Popular Comitees" her (vgl. Snider 1984a:145ff). Diese "Popular Comiiees" organisieren die Augabenbereiche Gesundheit (medizinische Betreuung), Ausbildung, Finanzen, Infrastruktur, Zivilschutz u.s.w. (vgl. Snider 1984b:24f).
Innerhalb der LFs wird außerdem ein radikaler Kern vermutet, der für Terroranschläge verantwortlich gemacht wird. Die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Chatila im Sep. 1982 wurde den Angehörigen der LFs zur Last gelegt (vgl.Kuderna 1983:104ff).
Die Verteidigung der Grundprinzipien des libanesischen Staatssystems durch die Christen brachte diesen auch die finanzielle Unterstützung konservativer arabischer Staaten (wie z.B. Saudi-Arabien) und Teile der muslimischen Bourgeoisie ein, die den aufkommenden Radikalismus fürchteten und ihre eigenen Positionen dadurch gefährdet sahen (vgl. Salibi 1976:97).

4. Die Laissez-fair-Ökonomie jenseits staatlicher Ordnung

Neben dem politischen System stellte auch die libanesische Wirtschaft eine Außnahme innerhalb der Länder des Nahen Ostens dar. Während die meisten Nationen dieser Region über eine staatlich kontrolierte bzw. sozialisierte Wirtschaftsform verfügen, war die libanesische Wirtschaft gänzlich laissez-fair organisiert.
Unter quantitativen Gesichtspunkten war der Libanon mit dieser liberalen Wirtschaftsform auch bis in die Mitte der 70er Jahre erfolgreich. So betrug z.B. das BSP für das Jahr 196, 4274 Millionen Libanesische Pfund (L.L.) (ca. 1526 Millionen US$) und das BSP pro Kopf lag dicht an 1400 L.L. (ca. 500 US$). Verglichen mit dem damaligen Durchschnittswert von ca. 100 US$ pro Kopf für die meisten unterentwickelten Regionen der Welt lag der pro-Kopf Anteil relativ hoch (vgl. Salem 1973:40f). Noch 1973 verzeichnete die Weltbank in ihrem Jahresbericht 1975 einen pro-Kopf Anteil von 900 US$ im Libanon(vgl. Weltbank: Jahresbericht 1975:48).
Aus qualitativer Sicht läßt sich für die libanesische Wirtschaft jedoch feststellen, daß sie aufgrund extremer sektorialer Disparität die ethnisch-politischen Gegensätze nur noch gefördert hatte. Das auf laissez-fair basierende Wirtschaftssystem war nicht in der Lage, für eine gerechtere Verteilung des relativen Wohlstandes zu sorgen.
Eine Statistik aus dem Jahre 1959 über die Verteilung des "National Income" verdeutlicht die grobe wirtschaftliche Unausgeglichenheit:

Einkommensverteilung:

Kategorie % d.Bev. Jahreseinkommen (L.L.)

Mittellose... ....9...... . .....unter - 1200
Arme....... .....40....... ......1200 - 2500
Durchschnitt. ...30....... .......2500 - 4000
Wohlhabende.....14.... ..........4000 - 15000
Reiche........ ...4........ ......über - 15000
(vgl. Aly 1975:163)

Verteilung des Nationaleinkommens:

% d. Bev. % d. N.E.

50 18
32 22
14 28
4 32

(vgl. Aly ebd.:164)

Aus den Tabellen geht hervor, daß gerade vier Prozent der Bevölkerung einen Anteil von 32% am Nationaleinkommen besitzen und dagegen 82% der Bevölkerung nur einen Anteil von 40% und "...approximately half of the population is living under poor and destitute conditions" (Aly ebd.:162).
Die aus der Historie heraus zu vertehende besondere Gewichtung der libanesischen Wirtschaft auf die Bereiche Handel und Dienstleistungen boten zwar einerseits die Möglichkeiten für die relative Prosperität der libanesischen Wurtschaft, hatten aber andererseits zur Konsequenz, daß die libanesische Ökonomie in sehr hohem Maße vom Ausland - und damit von den ausländischen Wirtschaftsschwankungen - abhängig war, das sich besonders nach Ausbruch des bewaffneten Konfliktes (1975) offenbarte.
Industrie und Landwirtschaft wurden zu gunsten der kapitalintensiven Wirtschaftssektoren vernachlässigt: 70% des Inlandsprodukts wurde aus den sog. tertiären Bereichen erwirtschaftet und nur ca. 25% aus der Landwirtschaft und aus der Industrie (vgl. Salem 1973:41).

Die Entstehung der Laissez-fair-Wirtschaft im Libanon läßt sich am besten aus der Historie verstehen.
Die Entstehung des freien Warenverkehrs in Europa und die Entwicklung hin zur kapitalistischen Wirtschaftsform beeinflusste in dieser Hinsicht auch den Libanon, wo hauptsächlich die Maroniten schon seit Jahrhunderten eine enge Bindung zu Europa besaßen. Die Handelsverbindungen reichten zurück bis ins 17. Jahrhundert. Die in Europa mit dem aufkommenden Bürgertum (Liberalismus) in Europa entstehenden Ideen nach größerer politischer und wirtschaftlicher Freiheit wurden durch die Maroniten in den Libanon hineingetragen, wo es im 19. Jahrhundert zu einer Revolution der Bauern gegen das Feudalsystem unter ägyptischer Herrschaft kam (vgl. Salem ebd.:6ff). Die Expansion der europäischen Wirtschaft ließ auch im Libanon einen Tausch- und Handelverkehr entstehen. Handwerker und Baumwollweber konnten geringe Mengen Kapital akkumulieren, das dann zu Handelskapital wurde. Eine Spezialisierung in bestimmten Regionen begann und bestimmte Städte wuchsen zu Handelszentren an. Mitte des 19. Jahrhunderts wird die feudale Struktur des Libanon durch das Anwachsen des Handels- und Kapitalverkehr unterminiert. Wichtigste Handelspartner waren Frankreich und England.
Innerhalb dieser Entwicklung kam es zu Konflikten zwischen der Bevölkerung und den feudalen Familien, die ihre Privilegien weiterhin verteidigen wollten. Die Bevölkerung wollte sich von ungerechtfertigten Restringtionen und Steuerauflagen lösen. Gleichzeitig kam es auch zu Konflikten zwischen verschiedenen Sekten in gemischt bewohnten Gebieten, dabei vor allen Dingen zwischen Druzen und Christen.
Die Besinnung auf die religiöse Identität gewann im Kampf gegen das feudale Herrschaftssystem an immer grüßerer Bedeutung, bis schließlich das feudale System im Libanon an Macht und Bedeutung verlor.
Wohlhabende Bauernfamilien entstanden, die gleichzeitig über einen Arbeitskräftebedarf verfügten. Ebenso entwickelten sich in den urbanen Zonen Manufakturen. Der Einfluß der europäischen Staaten, ihre sich stetig verändernden Produktionweisen und die enge Bindung der libanesischen Ökonomie an diese kapialistischen Systeme, brachte den Libanon in ein unglückliches Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Staaten.
Kurz vor dem 1. Weltkrieg erlebte die libanesische Ökonomie eine tiefe Depression aus der sich nur jene retten konnten, die über bedeutende Kapitalresourcen verfügten, die sie in die nicht-produktiven Bereiche Import-Export, Transithandel, Spekulationen und Tourismus investierten (vgl. Saba 1976:1ff). Landwirtschaft und Industrie wurden mehr und mehr dem Bankwesen und dem Handel subordiniert, wodurch eine bedeutende Macht in den Händen einer kleinen Gruppe von Landeignern, Kaufleuten und Bankern lag. Die Hegemonie der Kaufleute und Bankiers versuchte, den Einfluß des Staates möglichst gering zu halten (vg. Owen 1976:26f). Der spezielle Wirtschaftsliberalismus im Libanon drückte sich besonders durch die "Nachtwächterrolle" des Staates aus (vgl. Schölch 1977:13). Der bislang einzige Versuch, den Staat aus dieser Nachtwächterrolle zu erwecken, unternahm Präsident Chehab. Sein Versuch, den Staat unmittelbarer an der ökononmischen und sozialen Entwicklung zu beteiligen, scheiterte jedoch unter anderem an der Opposition der ökononmischen Kräfte im Libanon, die eine generelle Veränderung der libanesischen Wirtschaft befürchteten (vgl. Owen ebd.:29f).
Die historisch bedingte Schwerpunktverlagerung der libanesischen Wirtschaft auf die Bereiche des Handels- und Finanzkapitalismus und des Dienstleistungssektors wurde zudem durch die geographische Lage des libanesischen Staates, sowie seiner engen kulturellen Bindung zum Westen als auch zur arabischen Welt begünstigt. Der Libanon wurde "...a major trading and exchange center in the region" (Salem 1973:17), mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 8% (vgl. Paeck 1976:xy).Die besonders nach dem 2. Weltkrieg an wachsenden wirtschaftlichen Aktivitäten vollzogen sich fast ausschließlich auf privatwirtschaftlicher Ebene. Die politischen Autoritäten versäumten es, eine effektive Wirtschaftspolitik zu entwickeln, um auf die wirtschaftlichen Veränderungen adequat reagieren zu können. Der wirtschaftlichen Entwicklung hingen Politik und sozialer Wandel hinterher (vgl. Makdisi 1977:268). Bis in die frühen 70er Jahre fehlte ein umfassendes Wirtschaftsprogramm. Lediglich die Bekämpfung der Inflation und der private Sektor hatten Priorität.
Der libanesische Außenhandel basierte auf einem einfachenWechselkurssystem ohne Restringtionen und mit einer flexiblen Wechselkursrate (freier Devisenmarkt), die zu einer starken Zahlungsbilanz verhalfen. Diese Bedingungen, "...attracted foreigncapital, for investment as well as for refuge purposes, and encouraged domestic investment" (vgl. Makdisi 1977:269).
Aus dieser Situation profitierte insbesondere die libanesische Hauptstadt Beirut und ihre nahe gelegene Umgebung: Beirut wurde der bedeutenste Finanz- und Umschlagplatz zwischen den westlichen Industrieländern und der arabischen Welt: Der überwiegende Teil der Importe kam aus dem Westen (ca.70%) und der überwiegende Teil der Exporte ging in die arabische Welt (Hanf 1985c:455). Rund 70% der industriellen Betriebe befanden sich in Beirut und Umgebung (vgl. Schiller 1979:83). DieFolge davon war eine rapide Uranisierung, die sich allerdings fast ausschließlich auf Beirut konzentrierte.
Der wirtschaftliche Aufschwung im Libanon ließ allerdings die bedeutenden sozialen Probleme zwischen den städtischen Zentren und den vernachlässigten ruralen Gebieten immer deutlicher hervortreten (vgl. Hudson 1978a:43). Die strukturelle Unausgeglichenheit wird an der Beteiligung sektoraler bzw. regionaler Beteiligung am BSB deutlich. Etwa 2/3 des BSB wurde von den hauptsächlich in Beirut konzentrierten Sektoren Handel und Dienstleistugen erwirtschaftet. Industrie und Landwirtschaft lagen weit dahinter (vgl. Aly 1975:151), obwohl diese Bereiche immerhin fast 61% des vorhandenen Arbeitskrätevolumens abdeckten (vgl. Salem 1973:42).

Sektorale Verteilung des BSB:

Sektor % d.Bev. Beschäftigte BSB/KOPF

Landwirtschaft 10.2 220000 1980
Industrie 19.7 135000 6260
Tertiärer Sek 70.1 290000 10320
(vgl. Pohl-Schöberlein 1986:116)

An der relativ erfolgreichen Wirtschaftsentwicklung nach dem 2. Weltkrieg im Libanon hatten allerdings insbesondere die unteren Schichten keine Anteil (vgl. Schiller 1979:164). Die Tabellen belegen die Tatsache, daß an der relativen wirtschaftlichen Prosperität nur ein schmaler Bevölkerungsteil profitierte: "Weit mehr als die Hälfte aller Libanesen leben unter dem Existenzminimum" (Pohl-Schöberlein ebd.:121). Dies sind vor allen Dingen jene, die in die Vorstädte und Slums Beiruts gezogen sind und die Landbevölkerung (vgl. ebd.). Bezieht man die Unterschiede in der Einkommensverteilung auf die einzelnen konfessionellen Gruppen, so kann man feststellen,daß die sozialen Unterschiede zwischen "arm" und "reich" zwar in allen Konfessionen vorkommen, daß der Tendenz nach jedoch die christlichen Gruppen gegenüber den muslimischen wirtschaftlich bevorteilt sind: Das durchschnittliche Jahreseinkommen (1971) nach Konfessionen verteilt sich wie folgt:

Christen Sunniten Schiiten Drusen
7142 L.L. 5571 L.L. 4532 L.L. 6180 L.L.

Der Anteil, der jenigen, die unter 1500 L.L. (Existenzminimum) liegen, ergibt folgendes Bild:

7% 15% 22% 11%
(vgl. Pohl-Schöberlein ebd.: Anm. 4:121)

Aus den wirtschaftlichen Gegensätzen im Libanon ergaben sich somit konkrete Forderungen an die Regierung, hinsichtlich einer gerechteren Verteilung und einer ausgleichenden wirtschaftlichen Unterstützung der stark vernachlässigten ruralen Gebiete des Landes. Die Realisierung solcher wirtschaftspolitischen Maßnahmen sind jedoch unter einem laissez-faire-System per se kaum zu bewerkstelligen (vgl.Salem 1973:51). Die sozio-ökomomische Komponente wurde im Libanon deshalb auch stark vernachlässigt. "Das Fehlen einer ausgewogenen Sozialpolitik, eines sozialen Wohnungsbaus und die rapide steigenden Mieten und Preise für Verbrauchsgüter...haben die sozialen Gegensätze immer mehr verschärft" (Köhler 1975:100). Salem nennt zudem noch weitere Gründe, die für die delinquente Wirtschaftspolitik verantwortlich gemacht werden können: eine starke Zentralisierung der bürokratischen Struktur, ein überkommenes Verwaltungssystem, technische Rückständigkeit, der Konfessionalismus innerhalb der Bürokratie, Nepotismus, Korruption; und schließlich ein gewisser Mangel an Sorgfältigkeit bei der Bewältigung der bürokratischen Aufgaben (vgl. Salem 1973:85ff).
Zudem hatte die Laissez-faire-Orientierung des Staates zur Folge, daß die staatlichen Einnahmen aufgrund geringer Besteuerung sehr gering ausfielen (vgl. Fawaz 1987:34) und damit von vorneherein wirtschaftspolitische Maßnahmen beschränkten.
1972 veranschiedete die libanesische Regierung den sog. Sechsjahresplan für den Zeitraum von 1972-77. Der Plan beinhaltete fünf Hauptpunkte, die Erhaltung eines relativ hohen BSB, einen sektoralen Ausgleich mit Verbesserung der Bereiche Industrie und Landwirtschaft, Maßnahmen zur Erhöhung des Arbeitskröftebedarfs, die Reduzierung des Zahlungsbilanzdefizits und schließlich eine gerechtere Einkommensverteilung unter den Bürgern des Landes unter Berücksichtigung der regionalen Komponente (vgl. Aly 1975:151f). Keines dieser Ziele des Planes war jedoch klar definiert, und auch die Maßnahmen ihrer Realisierung blieben offen. Der Plan beinhaltete keine Reformierung des für die staatlichen Zwecke inadequaten Steuersystems. Außerdem berücksichtigte der Plan keine Investitionen für eine Erhöhung des Arbeitskräftebedarfs (vgl. Makdisi 1977:273). "The Plan document and the macoeconomic projections..., present no serious attempt to achieve these goals, especially those concerning employment and income distribution" (Aly 1975:164).
Mit der Entwicklung des um 1975 einsetzenden bewaffneten Konfliktes wurde jede Hoffnung auf eine positive Veränderung der libanesischen Ökononmie schließlich zunichte gemacht. Aus den Ergebnissen verschiedener Studien (World Bank, US-Regierung, lib. Regierung etc.) geht hervor, daß die Kosten der Zerstörungen für den Zeitraum von 1975-82 auf ca. 13.9 Milliarden US$ und die Kosten für einen möglichen Wiederaufbau sich auf ca. 15-20 Milliarden US$ (vgl. Starr 1984:70f) belaufen.
"The key indicators of healthy economic growth suggest a grim scenario with the likely prospect of Lebanon emerging as a newly impoverished nation" (vge. ebd.:78).

5. Politische Entfremdung im Libanon - ein emprischer Befund

Inwieweit das politische System im Libanon an Glaubwürdigkeit verloren hatte zeigen zwei repräsentative Untersuchungen an libanesischen Studenten, die vor dem Ausbrechen des gewaltsamen Konfliktes durchgeführt wurden (Nasr und Palmer 1977/Barakat 1977). Nasr und Palmer versuchten anhand des Grades der Entfremdung vom politischen System, eine Einschätzung der "...Precariousness of the Lebanese Republic..." zu geben (Nasr 1977:493). Barakat versuchte zu bestimmen wie die Art der Beziehung zwischen der Loslösung der Jugend von traditionellen Loyalitätsstrukturen einerseits und dem Wunsch nach grundlegender Veränderung andererseits sich entwickelten (vgl. Barakat 1977:3). Seiner Untersuchung lag die Premisse zugrunde, daß sich die etablierte Ordung im Libanon jeder möglichen Änderung widersetzt, besonders aber, wenn es sich dabei um den Versuch handelt,die Lücke zwischen Benachteiligten und Priviligierten zu schließen. "The very act of maintaining the gap between the privileged and the deprived is an act of violence" (Barakat ebd.:73f).

Der Beschränkung beider Samples auf Studenten liegt die Annahme zugrunde, daß die libanesischen Studenten ein entsprechend großes Bewußtsein gegenüber den politischen Verhältnissen besitzen und einen Einfluß auf andere Segmente der libanesischen Gesellschaft haben (Multiplikatoreneffekt) (vgl. Nasr ebd.:493/Barakat ebd.:4ff). Die Untersuchungen wurden an verschiedenen libanesischen Universitäten. durchgeführt.
Nasr und Palmer kamen zu dem Ergebnis, daß die Mehrheit der Studenten (63%) davon ausgeht, daß die Bevölkerung im Libanon den politischen Institutionen wenig Beachtung schenkten. 77% der Studenten glauben, daß die politischen Institutionen radikal verändert werden müßten. Die Entfremdung von den politischen Institutionen war bei den Muslimen größer als bei den Christen, wobei die Shciiten mit 89% die größte und die Maroniten mit 65% die geringste Entfremdung aufwiesen (vgl. Nasr ebd.:496). Zwischen 65% und 75% aller Befragten waren mit der Leistung der politischen Institutionen unzufrieden. Die Entfremdung lag generell bei den unteren sozialen Schichten höher als bei den oberen Schichten. 77% aller befragten Muslime ließen erkennen, daß ihre sozialen und kulturellen Traditionen nicht mit den politischen Institutionen kongruent waren (im Gegensatz dazu nur annäherend 58% bei den Christen).
Die Häufigkeit der negativen Antworten der Muslime war eine Reflektion auf die muslimische Opposition gegenüber der christlichen Dominanz innerhalb der politischen Institutionen im Libanon (vgl. Nasr ebd.:506):

Häufigkeit der Antworten mit negativer Einstellung gegenüber den politischen Institutionen:















Die festgestellten Daten belegen einen hohen Grad an politischer Entfremdung und damit an politischer Unzufriedenheit bei allen Studenten. Während die Studenten mit christlicher Konfession unter dem Gesamtdurchschnitt lagen, war der Grad an politischer Entfremdung bei den muslimischen Studenten überdurchschnittlich hoch. Dabei konnte die größte Diskrepanz zwischen Maroniten und Schiiten festgestellt werden.
Diese Ergebnisse werden durch Barakat bestätigt. Er stellt ebenfalls fest, daß der Grad an politischer Entfremdung bei den muslimischen Studenten höher lag als bei den Christen:
















(vgl. Barakat ebd.:126f)

Auch hier wurden die größten Unterschiede zwischen Schiiten und Maroniten festgestellt. 2/3 der Schiiten waren hochgradig entfremdet, während nur 24% der Maroniten in die gleiche Kategorie fielen (vgl. Barakat ebd.:126).
Das folgende Diagramm soll den Grad der Entfremdung unter den verschiedenen konfessionellen Gruppen anschaulich darstellen. Dabei wurden die Ergebnisse beider Studien in Beziehung zueinander gesetzt:

Graphik folgt noch!

Die Frage nach der nationalen Identität unter den libanesischen Studenten zeigte,daß sich die Mehrheit der muslimischen Studenten für einen arabischen Nationalismus und die Mehrheit der christlichen Studenten für einen libanesischen Nationalismus aussprachen. Das Ergebnis entsprach somit der generellen Polarisation innerhalb der libanesischen Gesellschaft:
















(vgl. Barakat ebd.:116f)

Unter den arabischen Nationalisten war der Grad der politischen Entfremdung weitaus höher als bei den libanesischen Nationalisten, die umgekehrt die höchste Integrationsrate aufzeigten (vgl. ebd.:136). Zudem sprach sich mehr als die Hälfte der arabischen Nationalisten für revolutionäre Veränderungen aus (vgl. ebd.:136f).

Beide Untersuchungen wurden, wie bereits erwähnt, vor dem Ausbruch der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Libanon durchgeführt. Sie belegen empirisch das vorhandene Potenzial an politisch Unzufriedenen im Vorfeld des Bürgerkrieges. Barakat sieht dabei politische Entfremdung als wichtige intervenierende Vorbedingung für revolutionäre Veränderungen (vgl. ebd.:121): Der Konflikt ergab sich aus der Diskrepanz zwischen der bestehenden sozialen Realität und der gewünschten antizipierten Ordnung. "In other words, alienated persons or groups either retreat from, comply with, or act upon the system and/or society from which they are alienated, hoping to put an end to the disparity between the actual and desired orders" (Barakat ebd.:121).