02 November 2006

I. Der Libanonkonflikt als politikwissenschaftlicher Forschungsgegenstand

1. Konflikttheoretische Erklärungsmodelle

Die Konfliktforschung beschäftigt sich mit dem unterschiedlichen Ausmaß von Konflikt, Protest und Gewalt. Sie versucht zudem, Zusammenhänge verschiedener Konfliktereignisse zu beschreiben und Konflikte, Proteste und Gewalt durch gesamtgesellschaftliche Merkmale zu erklären (vgl. Weede 1975:409). Sie entstand zu einer Zeit, als die Modernisierungstheorien ihren Höhepunkt fanden. Seit den 60er Jahren ist die Literatur auf dem Gebiet der Konfliktforschung stark angewachsen (vgl. Bibliographie bei Zimmermann 1981).
Weede unterscheidet vier Etappen innerhalb der Konfliktforschung: "Eine klassische Phase bis 1971-72, einen neoklassischen Versuch (Gurr and Duvall 1973), einen ungefähr gleichzeitigen Frontalangriff (Hibbs 1973) und bis heute die Akkumulation der Widersprüche" (Weede ebd.:409). Hier drückt sich zugleich das Problem der konflikttheoretischen Forschung aus: Die Annahme nämlich, "daß man bei der Erforschung interner Konflikte bald weiter sei als in den meisten anderen Gebieten der Sozialwissenschaft..." (ebd.:411), hat sich nicht bestätigt.
Apter sieht die Gründe für das Fehlen zuverlässiger Indikatoren in bezug auf politische Gewalt in der schwachen Aussagekraft gegenwärtiger Theorien. "Highly generalized structural ones lead to overkill conclusions. Those concerned with individual psychological variables are mostly devoid of interpretative understanding" (Apter 1987:xy).
Die Hauptprobleme der Konfliktforschung liegen darin begründet, daß die zu überprüfenden Theorien oft nicht bestätigt werden können, die Operationalisierung problematisch ist und die Ergebnisse selten replizierbar sind (Weede 1975:411).
Neuere Ansätze versuchen, diese Problematik zu überwinden.

Im folgenden sollen einige zentrale Erklärungsmodelle kurz vorgestellt werden.

Zimmermann versucht, "...theoretisch bislang unverbundene Ansätze so zu integrieren, daß eine, wenngleich komplizierte, so doch erfolgversprechende vergleichende empirische Analyse über Krisen und Krisenkonsequenzen in demokratischen Industriegesellschaften durchgeführt werden kann" (Zimmermann 1978:46). Sein "synthetisches Modell" bezieht sich auf Legitimität und Legitimitätskrisen (vgl. Zimmermann 1981:26). Der Variablen Legitimität bzw. Legitimitätsverfall kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Sie wird in Bezug zur Performanz (Output-Leistung) und zur Persistenz (Fortdauer) des politischen Systems gesetzt. Wobei das Repressionspotenzial einen positiven Einfluß auf die Persistenz des Systems ausübt, gleichzeitig aber zu einem Legitimitätsverfall führt.
Performanzabfall bewirkt nach diesem Modell die Entstehung von Dissens in Bezug auf das politische System, die Eliten, die politischen Entscheidungen und auf bestimmte Institutionen. Das Ausmaß an politischem Dissens ist dann eine wichtige Bedingung für das Entstehen von politischer Gewalt. Jedoch entsteht politische Gewalt nicht zwangsläufig aus Dissens, sondern erst, "...wenn soziale Mobilisierungsprozesse bestimmter Richtung erfolgen" (ebd.:41). Aussagen über die Bedingungen sozialer Mobilisierung werden hier allerdings nicht gemacht (ebd.:41).
Dieses Modell zielt somit in erster Linie auf weiterentwickelte demokratische Industriegesellschaften ab.

Eine eher auf sich modernisierende Gesellschaften zutreffender Erklärungsansatz für das Entstehen von politischer Gewalt bietet die Theorie Huntingtons. Er sieht in der Assimilierung der durch den Modernisierungsprozeß neu entstandenen sozialen Kräfte die Voraussetzung für politische Stabilität. Politischer Konflikt und damit letztlich politische Gewalt entsteht, wenn einem politisch sensibilisierten Potential ein defizitärer Institutionalisierungsgrad an politischen Parteien gegenübersteht, d.h., wenn der Wunsch nach politischer Partizipation nicht realisiert werden kann, weil es an Beteiligungsmöglichkeiten fehlt (ebd.:48). Huntington sieht in einem rapiden sozio-ökonomischen Modernisierungsprozeß die Hauptquellen für das Entstehen von politischer Gewalt, weil hier politische Systeme selten in der Lage sind,auf die neuen Werterwartungen adäquat einzugehen. Besonders dann auch, wenn es sich um zentralisierte Monarchien, Militärdiktaturen und neue Nationen handelt (vgl. Eckstein 1980:135).
Zimmermann stellt die Signifikanz der rapiden sozio-ökonomischen Entwicklung als wichtigste direkte Determinante für politische Gewalt in Frage, stellt aber gleichzeitig fest, daß "...under some conditions socioeconomic change might lead to an increase on political protest, for instance, if it lead to the dislocation of social groups that are strong engough in their cultural and/or religious and/or ethnic identity to sustain prolonged resistance" (Zimmermann 1980:183; hierzu auch Zimmermann 1981:50f).

Ein weiterer Erklärungsansatz für das Entstehen von politischer Gewalt bietet die Theorie von Tilly (Theorie der "Collective Action"). Tilly geht davon aus, daß es in einem Staatswesen Mitglieder gibt, die einen formalen Zugang zum politischen Entscheidungsprozeß besitzen und andere, denen dieser formale Zugang versperrt bleibt. Sie bilden die Herausforderer, denn auch sie streben nach politischer Macht. Im Kampf um die Macht wird der Druck auf seiten der Herausforderer um so stärker, je schwieriger die Zugangsmöglichkeiten zum politischen Entscheidungsprozeß für sie sind. Endpunkt dieses Prozesses ist dann der revolutionäre Zustand. Bevor es jedoch zur "Collective Action" kommt, muß es zu einem Zusammenfluß gemeinsamer Interessen kommen. Ein bestimmtes Maß an verfügbaren Resourcen ist Voraussetzung dafür, daß sich die Beteiligten organisieren und mobilisieren können. Befindet sich gleichzeitig die Repressionsfähigkeit des Regimes auf niedrigem Niveau, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß "violent political action" die Oberhand gewinnt (vgl. Eckstein 1980:135ff und Weede 1986:51).

Innerhalb der Konfliktforschung nimmt jedoch die Theorie der "Relativen Deprivation" (RD) den größten Platz ein. Die Mehrzahl der empirischen Arbeiten beruht auf diesem Ansatz (vgl. Weede 1986:76). Die RD-Forscher gehen davon aus, daß Protest und Gewalt die Folge von Unzufriedenheit sind. "Unzufriedenheit als Diskrepanz von Anspruch und Erfüllung ist Folge von ungleichgewichtigen Zuständen oder Entwicklungen" (Weede ebd.:76).
Feierabend und Feierabend, wichtige Vertreter des deprivationstheoretischen Ansatzes, vermuten einen kurvilinearen Zusammenhang zwischen Modernität und Instabilität: In rückständigen Gesellschaften seien Erwartungshaltung und die Chancen der Erwartungsbefriedigung gering, in modernen Gesellschaften dagegen hoch. In Übergangsgesellschaften aber bestanden eine Diskrepanz zwischen Werterwartungen und deren Befriedigungschancen, aus der schließlich politische Instabilität folgt. Diese kurvilineare Beziehung konnte jedoch nicht so deutlich nachgewiesen werden.
Die Feierabends erklärten dies damit, daß es keine entsprechend rückständigen und anspruchslosen Nationen mehr gäbe. Weedes Kritik an diesem Ansatz beinhaltet den Vorwurf der Tautologie, weil die Feierabends den Ansatz an sich nicht in Frage stellen, sondern das Problem in der Auswahl der Indikatoren sehen (vgl. Weede ebd.:78).

Der wohl führende Exponent auf dem Gebiet der RD-Forschung ist T.R. Gurr. Sein konflikttheoretischer Ansatz dient im Rahmen dieser Diplomarbeite als theoretische Grundlage zur Erklärung der Konfliktursachen im Libanon. Aus diesem Grunde werde ich im nächsten Kapitel näher auf die Konflikttheorie Gurrs eingehen, die trotz aller Kritik (vgl. Weede 1975 und 1986,sowie Zimmermann 1981), "a tool of explanation, not something that models all facets of the concrete" (Eckstein 1980:163), darstellt.

1.1. Das deprivationstheoretische Modell nach Gurr

Gurrs Konfliktmodell versucht, folgende Fragen zu beantworten:
a) Was sind die pychologischen und sozialen Quellen für das Potenzial an kollektiver Gewalt;
b) Was determiniert die Größe dieses Potenzials, gerichtet auf das politische System?; und
c) Was sind die sozialen Konditionen der Bedeutung, Form und Konsequenzen dieser Gewalt? (vgl. Gurr 1974:8). Dabei liegt die Annahme zugrunde, daß, je größer die Frustration unter den Mitgliedern einer Gesellschaft ist, bezogen auf politische und soziale Unzufriedenheit, desto größer ist die Quantität von Aggression gegen die Quelle dieser Frustration bzw. umso größer ist die Intention von Deprivation, und die Bedeutung von Gewalt.
Die Unzufriedenheit erwächst aus der Perzeption von relativer Deprivation (RD), d.h. aus der Diskrepanz zwischen Werterwartung (value expectation) und Wertanspruch (value capability). "`Relative deprivation' (RD) is the term...to denote the tension that develops from a descrepancy between the `ought' and the `is'of collective value satisfaction and that disposes men to violence " (Gurr ebd.:21). Werte meinen dabei Ereignisse, Objekte und Bedingungen , wie Macht, Einfluß, Partizipation, Wahlrecht, Mitgliedschaft in einer politischen Elite etc., nach denen Menschen streben.
Gurr unterscheidet drei Spezifizierungen von RD:
a) "Decremental Deprivation" - die Werterwartungen sind konstant, jedoch sinken die Wertansprüche;
b) "Asprirational Deprivation" - die Wertansprüche sind konstant, aber die Werterwartungen steigen;
und schließlich c) "Progessive Deprivation" - sowohl die Werterwartungen als auch die Wertansprüche steigen bzw. fallen (vgl. Gurr 1974:46).
"In any given society at any given time, however, some groups are likely to experience different patterns of RD with respect to different classes of values" (Gurr ebd.:56). Die Intensität der RD ist ausschlaggebend für die Intensität der daraus resultierenden politischen Gewalt. Wird z.B. eine spezielle Partei zum Nachteil einer oder mehrerer anderer Parteien übervorteilt, so entwickelt sich Unzufriedenheit aus dem Mangel an Partizipationsmöglichkeiten, die dann im Verlangen nach größerer politischer Beteiligung und in einem Streben nach regionaler Autonomie ihren Ausdruck findet.
Gurr sieht die Quellen steigender Werterwartungen auch in der Wahrnehmung besserer Lebensumstände (Demonstrationseffekt), z.B. westliche Kulturen im Verhältnis zu den Lebensumständen in den Entwicklungsländern oder auch im Gegensatz zwischen den neuen Lebensvorstellungen stark urbanisierter Zonen und den meist traditionellen Lebensweisen der Peripherie (ebd.:93). Können wachsende Werterwartungen aufgrund externer Faktoren oder aufgrund der mangelnden Willfähigkeit des politischen Regimes nicht eingelöst werden, so entsteht RD.
Aus diesem Grunde ist die Art der Machtverteilung in einem politischen System von entscheidender Bedeutung für das Entstehen von RD bzw. für die Reaktion auf entstandene RD. Ist eine hohe Machtverteilung vorhanden, impliziert dies ebenfalls größere politische Partizipationsmöglichkeiten und damit größere Wertfähigkeit. Ist sie aber hingegen stark konzentriert und in ihrer Art statisch, so bedeutet dies zumeist geringe Partizipationsmöglichkeiten und die Entstehung intensiver RD als Folge.
Politische Macht kann hingegen dazu benutzt werden, die Quellen der entstandenen Unzufriedenheit zu lösen: Durch Vergrößerung der sozialen und politischen Wertgelegenheiten für die unzufriedenen Gruppen, durch Vergrößerung des Outputs des Systems und durch Reallokation von Partizipationsmöglichkeiten sowie Statuswerte kann die Wertfähigkeit in einem politischen System erhöht und der RD entgegengewirkt werden (ebd.:143f).
Ein dysfunktionaler Gebrauch der politischen Macht verringert die Wertfähigkeit des Systems und führt zu steigender RD.
Die Kapazität eines politischen Systems, die partizipatorischen Werterwartungen zu befriedigen, ist die Funktion des Verhältnisses Elitebewerber und verfügbare Elitepositionen,abhängig zudem von der Häufigkeit des Wechsels bei der Besetzung der Elitepositionen. Die verfügbaren Elitepositionen sind jedoch meist stark begrenzt. Ihre Ausweitung ist durch die Entwicklung von politischen Parteien, Interessenvertretungen, Bürgerrechten und durch Erhöhung der Wahlhäufigkeit möglich. Doch sind "such expansion..typically opposed by elites in centralized political systems..." (ebd.:145).
Unter ethnischen Gesichtspunkten, konstatiert Gurr, kann sich eine Gruppe vielleicht aufgrund besserer Bildung geeigneter fühlen, Regierungspositionen zu begleiten. Kann sich eine Gruppe in dieser Hinsicht durchsetzen, wird dies von anderen Gruppen als Verschlechterung der eigenen Position erlebt. Die Folge ist dann ein Ansteigen von RD,die dann, unter Mitwirkung anderer Faktoren, zur Entstehung von politischer Gewalt führen kann und häufig in Aufrühren, Revolten etc. ihren Ausdruck findet.

1.1.1. Zur Entstehung politischer Gewalt

Relative Deprivation muß nicht unmittelbar zu politischer Gewalt führen. Vielmehr müssen weitere Faktoren hinzukommen, um aus der erlebten Unzufriedenheit das Potenzial für politische Gewalt erwachsen zu lassen: "Discontent leads men to political violence when their attitudes and beliefs focus it on political objects, and when institutional frameworks are weak enough, or opposition organisation strong enough, to give the discontented a sence of potency" (ebd.:155). Dabei ist die Repressionsfähigkeit des Systems ein entscheidender Faktor, d.h. in wieweit läßt das System das Erstarken einer militanten Opposition zu.

Die Intensität, mit der politische Gewalt gerechtfertigt wird, hängt von den Umständen ab, die politische Gewalt als geeignete Antwort erscheinen lassen. Z.B. wurde festgestellt, daß neben Unzufriedenheit und Mißtrauen gegenüber den politischen Autoritäten auch der Glaube an die Effektivität der Gewalt das politische Gewaltpotenzial erhöht (vgl. Weede 1975:411).
Die psycho-kulturelle Rechtfertigung von Gewalt hat verschiedene Ursprünge. Sie resultiert aus bestimmten Sozialisationsmodellen, die individuelle Aggression als Verhaltensmuster zur Lösung von Konflikten vermitteln, aus der kulturellen Tradition, und aus bestimmten historischen Erfahrungen bezügl. politischer Gewalt (vgl. Zimmermann 1980:202f).Die normative Rechtfertigung von politischer Gewalt bei gegebener positiver Gewalteinstellung wächst auch in dem Maße, in dem das System an Legitimation einbüßt. Gurr formuliert diesen Aspekt in folgender Hypothese: "The intensity and scope of normative justificaton for political violence vary strong by and inversely with the intensity and scope of regime legitimacy" (Gurr 1974:185). Zur Rechtfertigung von politischer Gewalt dienen in der Regel ebenfalls Ideologien,die je nach der Intensität des akuten sozialen Konfliktes sehr extrem ausfallen können und mitunter auch Post-hoc-Rechtfertigungen für politische Gewalt liefern oder aber versuchen, plausible Erklärungen für die Gründe der entstandenen Unzufriedenheit zu geben.
Besondere Suszeptibilität besteht auch in der Tatsache, ethnische, religiöse und politische Minoritäten für RD verantwortlich zu machen. Religiöse, regionale, ethnische (etc.) Trennungslinien, "...represent one of the most important classes of deterninants of protest, turmoil, as well as of insurrection" (Zimmermann 1980:2o3). Untersuchungen haben gezeigt, daß, je größer die Segregation durch religiöse, ethnische (etc.) Gruppen ist, desto größer ist das Ausmaß an politischer Gewalt. Konflikte werden politisiert, indem einzelne Gruppen nach politischer Vorherrschaft streben (vgl. Zimmermann ebd.:204). Je deutlicher sich einzelne Gruppen von einander unterscheiden lassen, desto größer ist die Neigung, diese Gruppen für die erfahrene Unzufriedenheit verantwortlich zu machen. Auf der anderen Seite wächst die Effektivität politischer Gewaltrechtfertigung in dem Maße, wie sich diejenigen, die unzufrieden sind, als Gemeinschaft begreifen. Über Symbole werden die Gemeinsamkeiten zum Ausdruck gebracht und das Gemeinschaftsgefühl bestärkt. Zudem grenzen sich dadurch die einzelnen Gruppen von einander deutlich ab (vgl. Gurr 1974:207ff). Ein ausreichendes Kommunikationssystem bestärkt diesen Prozeß auf breiter Ebene in erheblichem Maße.
Damit sich ein so entstandenes Potenzial an politischer Gewaltbereitschaft in Form eines inneren Krieges entladen kann, sind allerdings weitere Bedingungen ausschlaggebend. Im nachfolgenden Kapitel soll nun untersucht werden, welche Gründe maßgeblich für die Eskalation von politischer Gewalt zu einem inneren Krieg sind.

1.1.2. Bedingungen für interne Kriege

Damit sich politische Gewalt in Form eines inneren Krieges äußert, müssen gewisse strukturelle Rahmenbedingungen auf seiten der Dissidenten bzw. des Regimes vorhanden sein. Gurr sieht einen wesentlichen Aspekt darin, daß die Zwangskapazität bzw. die Zwangskontrolle der Dissidenten sich der Zwangskontrolle des Regimes nähert. Zwangskontrolle (Coercive Control) äußert sich darin, daß die Willfähigkeit und die Einwilligung zur Kooperation innerhalb der Dissidentenorganisationen, dauerhaft ermöglicht wird (vgl. Eckstein 1980:152 und Zimmermann 1980:191ff).
Die Wahrscheinlichkeit eines inneren Krieges steigt erheblich, wenn "...the respectiv balances of coercive control and institutional support between regimes and dissidents" erreicht wird (Gurr 1974:233). Verfügen also die Dissidenten über eine hohe Zwangskontrolle und über die Unterstützung einer gewichtigen Organisation, so sind die Voraussetzungen für gewalttätige politische Opposition bzw. interner Krieg gegeben.
Das Ausmaß von politischer Gewalt verhält sich invers zum Potential der Zwangskontrolle auf seiten des Regimes. "If the regime and dissidents have approximately equal strength, internal war is more likely than other forms of political violence" (ebd.:235), d.h., verfügen die Dissidenten über eine Organisationsstruktur, die an Stärke und Effektivität der des Regimes gleichkommt, so ist unter Berücksichtigung der anderen genannten Faktoren, ein innerer Krieg wahrscheinlich. Das Regime müßte, um seinerseits eine konsistente Zwangskontrolle erreichen zu können, stets eine aktive Präsens ihrer Institutionen vorweisen können. Dabei spielen gerade die militärischen bzw.. internen Sicherheitskräfte eine wesentliche Rolle da die Zwangskapazität des Regimes wesentlich von der Loyalität dieser Sicherheitskräfte abhängt.
Haben sich hingegen die Dissidenten zu einer militärischen Formation vereint, so besteht zumeist große Loyalität zu ihren Führern.
Die Effizienz der "coercive control" hängt auch davon ab, in wieweit sich die Dissidenten in bestimmten Regionen konzentrieren, die u.U. schlecht von seiten des Regimes kontrolliert werden können.
Eine weitere Bedingung für die Möglichkeit eines inneren Krieges ist das Ausmaß an übereinstimmender und kooperierender Interaktion (Cohesiveness) unter den Dissidenten, sowie ein hohes Maß an hierarchischer und funktionaler Differenzierung innerhalb der Dissidentenorganisation (Complexity). Die Entwicklung einer Führerschaft,sowie die Ausdifferenzierung organisatorischer Funktionen und die Etablierung eines quasi formalen Körpers, sind von entscheidender Bedeutung für die Stärke der Regimegegner.
Gurr faßt diesen Aspekt in folgender Hypothese zusammen: "The likelihood of internal war increases as the level of dissident to regime institutional support approches equality" (Gurr ebd.:279).

Ein entscheidender Punkt für die Wahrscheinlichkeit eines inneren Krieges ist die Unterstützung der Regimegegner durch das Ausland. Sie kann bedeutenden Einfluß auf die D a u e r und I n t e n s i t ä t eines inneren Krieges haben bzw. zum Aufbau der Dissidentenorganisationen wesentlich beitragen.

1.3. Arbeitshypothesen zum Libanonkonflikt

Aus den vorangegangenen konflikttheoretischen Überlegungen lassen sich folgende Hypothesen zum Libanonkonflikt formulieren:

Die hohe ethnische Fraktionalisierung der libanesischen Gesellschaft verhinderte das Entstehen von übergeordneten Loyalitätsstrukturen (overarching loyalties). Daraus ergaben sich besondere Schwierigkeiten für das libanesische Demokratiemodell.
Die profunde Segregation innerhalb der libanesischen Gesellschaft konnte durch das politische System nicht überwunden werden. Der Segregation entsprach die regionale Aufteilung unter den ethnischen Gruppen.
Regionale Konzentration und Kontrolle der einzelnen Gruppen waren wichtige Bedingungen für die Entstehung von politischer Gewalt im Libanon.
Das bedeutendste Problem der libanesischen Demokratie lag in der Allokation der politischen Partizipationsmöglichkeiten unter den verschiedenen Segmenten.
Mangelnde Partizipationsmöglichkeiten auf seiten der Muslime führten zum Zerfall des politischen Systems im Libanon, und die wahrgenommene Relative Deprivation stand in Kongruenz zu der Elite und der Masse der jeweiligen Gruppen.
Sämtliche bedeutenden Gruppen im Libanon verfügten über eine entsprechende Institutions-und Organisationsstruktur.
Die Zwangskapazität bzw. Zwangskontrolle der Konfliktparteien erreichte ein annähernd gleiches Ausmaß.
Der Einfluß von exogenen Faktoren besaß eine gravierende Bedeutung für den Konfliktverlauf. Tragweite und Dauer des libanesischen Konfliktes sind das Ergebnis massiver exogener Einflußfaktoren.

1 Comments:

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